Predigt über Matthäus 7,24-27 am Beginn der Festwoche zur Ausstellung „Das Stafforter Buch – alt und neu“ am  1. August 2021 (9. Sonntag nach Trinitatis) in der evangelischen Kirche in Staffort

01.08.2021

Liebe Gemeinde!

Hätten die Menschen rechtzeitiger gewarnt werden können? So oder so ähnlich lauteten die Überschriften in vielen Zeitungen nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen. Und in der zurückliegenden Woche ist dieser Streit noch einmal aufgeflammt. Denn es hatte sehr wohl im Vorfeld Warnmeldungen gegeben. Schießlich ist allen klar: Eine rechtzeitige Information hilft, Leben zu retten. Und man erinnert sich an die fast schon vergessenen Sirenen auf den Dächern. Und versprach zugleich, die Möglichkeiten der Warn-Apps besser zu nutzen.

Der Predigttext für diesen 9. Sonntag nach Trinitatis ist ein Abschnitt aus der Bergpredigt. Bisher habe ich bei diesem Textabschnitt immer etwas allzu sicher von unserer Warte her gedacht: Das ist halt eine andere Zeit gewesen. Und die Leute haben unsere baulichen Möglichkeiten noch nicht gekannt. So etwas ist höchstens für die Blechhütten in den Slums der Metropolen irgendwo in Asien oder in Südamerika von Bedeutung. Oder vielleicht auch in manchen Städten in den USA, wo viele Häuser nur aus Aluminiumteilen gebaut sind.

Dann hat es plötzlich uns hier in Deutschland getroffen. Und ganz schön heftig. Da zeigt sich mir der Predigttext für heute mit einem Mal in einem ganz anderen Licht.

Da findet sich im siebten Kapitel des Matthäus-Evangeliums, gegen Ende der Bergpredigt Jesu, also folgender Abschnitt:

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Wer seine Häuser also sorglos da baut oder bauen lässt, wo sie im Grunde nicht sicher sind, geht ein Risiko ein. Und wer die Flüsse in ein neues Flussbett zwängt, damit wir sie besser nutzen können, hat davon nicht unbedingt Gewinn. Und vor allem keine wirkliche Sicherheit.

Um unser Leben und Wohnen geht es, wenn ich nach möglichen Warnsystemen frage. Um Sicherheit für Leib und Leben. Wer aber schützt unsere Seele? Wer oder was hilft mir, auch für meine Seele Sorge zu tragen? Gibt es auch ein Frühwarnsystem für mögliche Bedrohungen meiner Seele? Wer oder was schützt meinen Glauben? Wie kann ich dafür Sorge tragen, dass er sich in den Stürmen des Lebens bewahrt?

Diese Frage nach dem Frühwarnsystem für die Seele führt direkt zum Anlass dieses Festgottesdienstes. Zur Ausstellung des „Stafforter Buches – alt und neu“, des alten, ganz neu erworbenen. Und des eben neu herausgegebenen. Dieses Buch war gedacht als eine Art Frühwarnsystem für die Seele. Als ein Schutzsystem für unseren Glauben. 

Inzwischen wissen die meisten hier ja schon, was es mit dem Stafforter Buch auf sich hat. Da wird im Jahre 1556 die ganze Markgrafschaft Baden evangelisch. Es ist Markgraf Karl II., der in Baden diesen Schritt vollzieht. Er verlegt nicht nur die Residenz von Pforzheim nach Durlach. Er hält auch etwas auf seinen lutherischen Glauben. Den Beinamen der Fromme hat man ihm deshalb zugelegt.

Die Kinder Karls ruhen sich nicht einfach aus auf dem Erbe der Altvorderen. Und die Jungen zwitschern schon gar nicht, „wie die Alten sungen“. Nur einer der Söhne, Georg Friedrich, bleibt lutherisch. Jakob wird katholisch. Und Ernst Friedrich wendet sich dem reformierten Glauben zu. Das Volk will nicht so leicht mitziehen. Und bleibt gegenüber der reformierten Prägung von Ernst Friedrich mehrheitlich eher reserviert.

Ernst Friedrich will seine Untertanen überzeugen. Und ihnen die neue Lehre nahebringen. Er verlässt sich nicht auf seine Berater und auf versierte theologische Fachleute. Er verfasst seine eigene kurze Darstellung des reformierten Glaubens im Wesentlichen selber. „Ein kurzes und einfältiges Bekenntnis“ nennt er sein Büchlein. Das „bequemste und übersichtlichste Kompendium der reformierten Lehre“ sei ihm da gelungen, so kann man im Urteil eines anderen über sein Buch lesen.

Da der Markgraf unter den Lutherischen keinen Drucker findet, gibt er das Buch im Selbstverlag heraus. Er wirbt in Speyer den hugenottischen Drucker Bernhardt Albin ab. Und der druckt sein Buch im markgräflichen Schloss hier in Staffort. Das „Stafforter Buch“ nennt man dieses Werk darum auch. Erschienen im Jahr 1599.

So werbend Ernst Friedrich sein Büchlein versteht – er kann sich weder beim Volk noch bei den Pfarrern wirklich durchsetzen. Das Volk und die Pfarrerschaft – beide wollen sie lutherisch bleiben. Und Pforzheim, die durch den Wegzug verschmähte Alt-Residenz tut sich im Widerstand besonders hervor. Ernst Friedrich will schlichten. Doch unterwegs, auf Schloss Remchingen, erleidet er einen Schlaganfall und stirbt. Unter dem jüngeren lutherischen Bruder kommt die reformierte Phase der Markgrafschaft Baden schnell an ihr Ende.

Im Grunde hat das Stafforter Buch beinahe dasselbe Schicksal erlitten wie das Stafforter Schloss. Von beiden war bis vor kurzem fast nur noch die Erinnerung übrig. Aber eben am Ende doch mehr. Vom Schloss kann man hier und da immer noch Steine finden. Oder sich vom Schlossbuckel daran erinnern lassen. Auch vom Stafforter Buch gibt es nur noch ganz wenige alte Originaldrucke - wie eben den, der neu erworben wurde.

Doch heute kann man das Stafforter Buch in der Übertragung von Pfarrer Holger Müller neu lesen. Und durch den Beitrag von Manfred Raupp in der neuen Ausgabe des Stafforter Buches und durch die die Bildrekonstruktionen seines Enkels ist auch das Stafforter Schloss vor unseren Augen zumindest in der Vorstellung neu entstanden.

Ein Frühwarnsystem des Glaubens wollte Markgraf Ernst Friedrich also verfassen. Bei Sturm und Hochwasser ist klar, welche Aufgabe dem Frühwarnsystem zufällt. Es soll voraussagen, was auf die Menschen zukommt. Es soll sie veranlassen, Vorsorge zu treffen. Gegen Hochwasser und gegen Sturm. Und es soll im Extremfall auch dazu auffordern, gefährdete Orte zu meiden oder gar zu verlassen.

Wie funktioniert denn nun ein solches geistliches Frühwarnsystem? Vor welchen Gefahren sollen wir geschützt werden? Drei Punkte kann man aus dem Stafforter Buch wunderbar lernen.

Zum ersten das Stichwort der Verschiedenheit der Konfessionen. Der christliche Glaube, so denke ich, darf doch nicht Anlass ein, dass unter den Menschen Trennungen und Spaltungen entstehen. Ich habe mich deshalb getraut, den Markgrafen direkt zu fragen:

„Lieber Bruder Markgraf! Wenn das Wort Gottes doch mit eindeutigen Worten Kunde gibt, wie es um die Dreieinigkeit, die Gegenwart Christi im Abendmahl und die Wirksamkeit der Taufe bestellt ist, warum ist es denen dann noch nötig, ein solches Buch zu schreiben? Und warum sind denn die Christen ein so unordentlicher Haufen, so dass sie bald dem einen, bald dem anderen nachlaufen, sich zerstreiten ob Brot und Wein Leib und Blut Christi sind oder nur abbilden, ja sich als Christenheit gar bald spalten in vielerlei Parteiungen und Richtungen, die sich alle Kirche nennen? Ist es denn nicht genug, wie Paulus an die Epheser schreibt, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“?

Der Markgraf denkt kurz nach, dann gibt er zur Antwort: „Ihr sprecht den wundesten Punkt überhaupt an, den Schandfleck unserer Weise, Kirche zu sein. Zu meiner Zeit war das schon so. Ansonsten hätte ich hier in Staffort nicht dieses Buch in Druck gegeben. Bis hinein in Eure Zeit ist es leider nicht so viel anders! Ja, gespalten und aufgeteilt ist der Leib Christi auch bei euch. In Orthodoxe, Katholiken und Protestanten.

Dabei kommt‘s nur auf eines an: Ins Herz soll euch Gottes Wort treffen. Glauben sollt ihr. Euer Leben bessern. Und euch verwandeln lassen. Nicht Brot und Wein. Die bleiben, was sie sind. Und stellen uns im Glauben den in die Mitte, der uns beide hat wachsen lassen. Und der selber einlädt an seinen Tisch.

Nein, ihr müsst nicht einmütig glauben, was wir doch alle nicht begreifen mir unserem Verstand. Und so könnt ihr euer Leben in unterschiedlichen Häusern des Glaubens zubringen, wenn ihr sie denn offenstehen lasst und kein Feuer legt am Haus eures Nachbarn. Eins könnt ihr sein, weil Gott selber eins ist. Und doch vielfach zugleich. Gebrochen wie das Licht im Regenbogen. Ist der denn nicht dann am schönsten, wenn die Farben sich verbinden zu einem Ganzen?“

Die Antwort macht mir Mut, dem Markgrafen eine weitere Frage vorzulegen – Stichwort Kirche und Staat. Ich frage:

„Lieber Bruder Markgraf! In der Geschichte der Kirche haben sich die Christenmenschen oftmals vor dem Staat verstecken müssen. Die Kaiser Roms haben sie fast dreihundert Jahre lang verfolgt. Und in vielen Ländern der Erde ist das heute auch wieder so.

Doch wir hier machen längst andere Erfahrungen mit dem Staat. Und wir arbeiten auf vielen Feldern gut zusammen. Ist das ein Haus, das vom Einsturz bedroht ist. Oder steht es auf festem Grund?“

Und ich höre den Markgrafen sagen: „Jesus sagt doch: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Und Gott, was Gottes ist. Das schließt sich doch nicht aus. Das meint, dass beides zusammengehört.

Schaut, mein Nachfolger, der mehr als 200 Jahre nach mir regiert hat, Großherzog Ludwig, der hat erreicht, was mir verwehrt geblieben ist. Er hat eine Generalsynode einberufen. Und diese hat vor genau 200 Jahren die Lutherischen und die Reformierten wieder vereint. Zum Wohl aller haben Staat und Kirche, Großherzog Ludwig und Prälat Hebel und all die anderen hier zusammengewirkt. Das feiert ihr dieses Jahr ja allenthalben.

Bis heute ist das ein Gewinn. Unterscheiden sollt ihr beide, den Staat und die Kirche. Aber nicht auseinanderschneiden. Ihr habt doch Gewinn davon. Bei Schulen und Hochschulen. In Gefängnisseelsorge und Militärseelsorge. Beim Sonntagsschutz und im Religionsunterricht.

Keine Sorge, wenn ihr dieses Haus ordentlich pflegt, hält es auch den Stürmen gut stand. Darum dürft ihr auch mahnen, den Staat zur Ordnung rufen. Eure prophetische Stimme erschallen lassen. Wenn’s ums Recht geht und um die Gerechtigkeit. Um den Frieden. Und um die Bewahrung der Schöpfung. Aber miteinander soll‘s am Ende gehen und nicht gegeneinander!“

Mir kommt ein drittes Thema in den Sinn. Die Beziehung zu anderen Religionen und anderen Überzeugungen. Auch hier könnten wir womöglich ein Frühwarnsystem benötigen. Daher frage ich:

„Lieber Bruder Markgraf! Unser Herr und Meister warnt doch in der Bergpredigt, dass wir unser Haus nicht sollen bauen auf unsicheren Grund. Meint er damit nicht auch den Grund fremder Wahrheit? Sollen wir denn nun alle, die ihr Haus auf anderem Grund bauen als wir Christenmenschen warnen, dass doch gleich der nächste Sturm ihr Inneres zum Wanken bringt?

Und ist denn die Wahrheit allein bei uns? Müssten dann nicht alle Menschen kraft ihres von Gott gegebenen Verstandes diese Wahrheit auch erkennen, anstatt wegen dieser Wahrheit mit Feuer und Schwert über andere herzufallen, wie es in die eine und in die andere Richtung der Fall ist?“

Und ich könnte mir vorstellen, der Markgraf würde so antworten: „Ihr fragt anders, als ich damals gefragt hätte, als ich meinen Glauben in Worte gefasst habe. Wir hatten keinerlei Zweifel: Natürlich ist die Wahrheit bei uns. Nur bei uns. Die anderen sind Ungläubige. Sie haben bestenfalls Körner der Wahrheit in ihr Brot des Unglaubens eingebacken.

Mit euch möchte ich nicht tauschen. Ihr habt es heute viel schwerer! Ihr könnt die ganze Welt bereisen. Euch bleibt kein Ort verschlossen, an dem Menschen ihren Gott anrufen. Aber das verwirrt euch. Ihr müsst euch entscheiden. Und wenn ihr bei dem bleibt, was ihr kennt, macht ihr die Erfahrung: Die anderen tun das auch! Wo ist denn nun die Wahrheit? Bei den einen allein? Und bei den anderen nur Irrtum? Bei den einen mehr. Und bei den anderen weniger? Oder ist sie gar bei allen? Und der Irrtum baut überall sein Haus gleich nebenan?

Mir war klar: Mag Gott bei den anderen irgendwie zu Gast sein. Bei uns, bei mir hat er Wohnung genommen. Ich weiß, dass ihr das anders seht. Anders sehen müsst. Darum kann ich euch da nicht mehr weiterhelfen. Aber das befreit euch nicht davon, hier eine andere, euch gemäße Antwort zu finden.“

Ich bin dem Markgrafen für alle drei Antworten dankbar. Wer so weise zu antworten versteht, muss auch in seinem Buch ein guter Ratgeber sein. Ein Frühwarnsystem des Glaubens hat er also schreiben wollen, Markgraf Ernst Friedrich. Und als solches sollen wir’s auch lesen.

Den Klimawandel gibt’s ja nicht nur draußen in der Hülle, die unsere Erde umgibt. Es gibt ihn auch im Bereich dessen, was da alles auf uns Menschen einströmt. Auch da sind die Stürme und die Hochwasserlagen eher stärker geworden. Da kommt ein solches Buch gerade recht. Vor allem, wenn wir’s fortschreiben und fortdenken - so dass es auch den heutigen Wetterlagen trotzt.

Und wie schon damals geht es darum, uns mit den alten Texten vor den neuen Unwettern in Sicherheit zu bringen. Mit der Bibel und den Liedern, die Gottes Schönheit in Töne fassen. Mit den Bekenntnissen von damals und heute. Und mit einem Glauben, der sich wagt. Der fragt. Und hofft. Und liebt.

Das letzte Wort soll heute aber das Stafforter Buch selber haben – mit seinem letzten Wort:

Der allmächtige weise Gott
wolle nach seinem väterlichen Willen (…)
das in uns angefangene Werk
zu seines Namens Ehre
und unserer Seelenseligkeit
bis auf den Tag Jesu Christi
gnädig vollenden.
Amen.

Mit Amen schließt das Stafforter Buch. Und wenn wir in seinem Sin auf guten Grund bauen, bleibt auch mir weiter nichts mehr zu sagen, als eben: Amen!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.