Predigt über 1. Korinther 4,1-5 am 12. Dezember 2021 (3. Advent) in der Heiliggeistkirche in Heidelberg

12.12.2021

Liebe Gemeinde!

Adventliche Zeiten – turbulente Zeiten! Und wohl noch nie zuvor waren sie so turbulent wie in diesem Jahr!

Advent, das ist doch die Zeit der Erwartung. Doch nicht nur auf die Geburt dieses himmlischen Kindes der Weihnacht richten sich unsere Erwartungen. Advent gibt den Engeln Recht, die auf den Hirtenfeldern vor Bethlehem ihr Lied vom Frieden auf Erden gesungen haben. Und heute sicher eine Strophe über das Ende der Pandemie hinzufügen würden.

Keine abendliche Nachrichtensendung ohne Bilder, die einem nicht mehr gut schlafen lassen. Und am Ende der großen abendlichen Nachrichtensendungen folgt dann immer noch der Blick auf die täglichen Coronazahlen. Auf den Inzidenz- und den Hospitalisierungswert. Auf die Zahl der Neuerkrankten und der an oder mit Corona Verstorbenen. Ilustriert mit Kurven und Balkendiagrammen – so wie im sich daran anschließenden Blick auf den DAX oder den Dow Jones Index. Im einen Fall wie im anderen Fall erscheinen dann die längst vertrauten Gesichter der Deuter und der Analysten, die uns erklären, warum die Kurven sich so bewegen.

Die  Sachwalter des Lebens und die  Ökonomen der Märkte - sie sind es, so lautet die allabendliche Botschaft, die uns die Welt erklären können. Gerade auch in diesen Tagen. Sachwalter des Lebens und Ökonominnen und Ökonomen sind auch wir. Darum soll’s gehen in dieser Predigt zum Dritten Advent. Nicht als ein Eingehen auf die medial vermittelten Deutungsmuster. Nein, der Predigttext für diesen heutigen Dritten Advent gibt dieses Thema vor. Paulus schreibt:

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.

Orgelklänge

Adventliche Zeiten – das sind zunächst also bilanzierende Zeiten! Ganz sachlich beschreibt Paulus hier das Profil eines Christenmenschen. Und setzt mit einem Vorbild aus der Welt der Wirtschaft ein. Und wo Luther mit Haushalter übersetzt, da steht im griechischen Original eben das Wort Ökonom.

Die Ökonominnen und Ökonomen der Geheimnisse an der Börse – sie reden von den Geheimnissen der Märkte. Ganz anders verhält es sich mit jenen Ökonomen von denen Paulus spricht. Ihnen ist aufgetragen, Analystin und Analyst der Geheimnisse, wörtlich der Mysterien Gottes zu sein. Gottes Geheimnisse durchschaubarer zu machen. Und öffentlich davon zu sprechen. Das Auf und Ab eines Menschenlebens mit Gott in Verbindung zu bringen, dem Gelingen und Scheitern, dem Erkranken und Genesen irgendwie einen Sinn zu entlocken, Wege aufzuzeigen, wie wir von Neuem zu den Quellen des Lebens finden. Und wie wir dürre Zeiten durchstehen können.

Wenn es gelingt, Gott im Spiel des Lebens zu halten, wenn Antworten weiterhelfen und Perspektiven aufzeigen, dann haben die Ökonomen des Lebens ihre Aufgabe gut wahrgenommen. Wenn die Bilanz unterm Strich positiv bleibt, dann hat das adventliche Warten sich gelohnt. Advent, das ist die Zeit, in der vieles auf dem Prüfstand steht. Auch unser Wirken als Ökonomen der göttlichen Geheimnisse. Adventliche Zeiten, das sind eben bilanzierende Zeiten.

Wir müssen also nicht mehr sein als eben dies: Ökonomin oder Ökonom Gottes. Dass Gott noch Platz hat in einem Menschenleben, auch in dem unsrigen – wir können’s alleine nicht machen. Und kommen doch ums Bilanzieren nicht herum.

Paulus schreibt darum in seinem Brief nach Korinth weiter:

Mir aber ist's ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet.

Orgelklänge

Adventliche Zeiten – das sind also auch befreiende Zeiten! Dem Urteilen der anderen kann ich nicht entgehen. Aber Paulus findet einen Weg mit diesem Anspruch umzugehen. Es sind nicht einfach die anderen - es sind nicht meine Mitmenschen, deren Wünschen und Sehnen ich entsprechen muss. Als Ökonom, als Ökonomin der göttlichen Geheimnisse bin ich am Ende nur Gott verantwortlich. Das befreit. Zumindest vom Urteil der vielen Lebensanalysten, die mich tagtäglich beurteilen. Und nicht selten verurteilen.

Vom Richten spricht Paulus in diesem Zusammenhang. Um diesem Richten Stand zu halten, braucht es Mut. Brauch es die Bereitschaft, mein Denken zu verändern. Und mein Verhalten. Darum kommt der Advent nicht ohne die Erinnerung an dieses Richten aus. Und nicht ohne die Aufforderung, auf eigenes Richten zu verzichten. Dass es Gott selber ist, auf den wir warten, das lässt den Advent von einem Schimmer der Barmherzigkeit umfangen sein. Darum sind die adventlichen Zeiten zugleich befreiende Zeiten!

In seinem Brief nach Korinth kommt Paulus darauf zurück, dass dieses adventliche Warten durchaus länger dauern kann. Er schreibt:

Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Orgelklänge

Adventliche Zeiten – das sind auch Umkehr-Zeiten! Paulus bringt hier zur Sprache, was wir zu erwarten haben. Und wen wir zu erwarten haben. Doch selten spricht Paulus derart positiv von der Erwartung des Gerichts. Am Ende steht nicht die große Verdammnis. Die große Scheidung der Guten von den Schlechten. Am Ende steht das große Lob. Aber nicht das Lob der Menschen für Gott. Sondern Gottes Lob für uns Menschen. Für alle Menschen!

Dies zu wissen, macht das adventliche Warten erträglich. Dies zu wissen, macht frei, immer wieder neu anzufangen. Von Neuem umzukehren. Die große biblische Leitfigur dieser Aufforderung zur Umkehr ist Johannes der Täufer. Der dritte Advent – das ist traditionsgemäß sein Sonntag!

Aber neben dieser Umkehrbotschaft des Johannes, neben diesem „Kehrt um!“ macht sich ein anderes Motto breit. „Gaudete – freut euch!“ - das ist der Name dieses Sonntags in der altkirchlichen Tradition. Mitten in der Umkehrzeit des Advents setzt bereits die Zeit der weihnachtlichen Freude ein. Und hüllt den Advent schon in ein helleres Licht.

Die Kirchenjahrsfarbe des Advents ist ja das Lila. Genauer gesagt das Violett. Lila oder Violett - das ist die Farbe der Umkehr. Darum sind unsere Altar- und Kanzelbehänge in der Adventszeit violett. An „Gaudete“, am Dritten Advent, erscheint dieses Lila bereits schon im helleren Licht der Weihnacht. Die Zeit der Erwartung und die Zeit der Erfüllung – das „Ehre sei Gott in der Höhe“ und der „Frieden auf Erden“ – sie rücken schon jetzt ganz nah zusammen.

Unsere weihnachtliche Erwartung ist eben nicht einfach nur auf die rührselige Geburt irgendeines Kindes gerichtet. Das Besondere an diesem Kind – es besteht darin, dass es uns neue Lebensmöglichkeiten eröffnet. Dass es uns Mut machen will, noch einmal ganz neu anzufangen. Mut, immer wieder umzukehren. Umzukehren von der Erwartung zur Erfüllung. Von der Hoffnung zur Realität. Auch wenn diese Realität nur Fragment bleibt. Und die Fülle des Erhofften noch aussteht.

Adventliche Zeiten – das bleiben bis auf weiteres Umkehrzeiten und Freudenzeiten – in geschwisterlicher Umarmung. Adventliche Zeiten – sie sind gerade darum auch lila Zeiten. Zeiten der Ermöglichung einer lila Pause der besonderen Art. Eines Lockdowns, der das Leben nicht einfach unterbricht, sondern ihm zu freier Bahn verhilft.

Orgelklänge

Mitten im belastenden, im überfordernden Alten, mitten im Trott des Alltags die hereinbrechende Zukunft Gottes zu erwarten, das sprengt häufig unsere Vorstellungen. Das grenzt manchmal an Verrücktheit. Da sind dann tatsächlich die Maßstäbe des Lebens verrückt. Adventliche Zeiten, das sind darum nicht zuletzt auch närrische Zeiten.

Die Närrinnen und Narren sind die Fachleute dieses Denkens, schreibt Paulus in den Versen, die dem Predigttext unmittelbar vorausgehen. Die Närrischen. Und nicht etwa die Klugen. Oder Paulus im Originalton: „Wer unter euch meint, weise zu sein, der werde ein Narr, dass er weise werde.“

Die Närrinnen und Narren Gottes erkennt man an ihrem Lila. An ihrer Bereitschaft zur Umkehr. Und an ihrer Bereitschaft, sich am Leben zu freuen. Trotz aller Turbulenzen, die uns derzeit so auf der Seele liegen.

Die letzte Erfüllung des Lebens steht allemal noch aus. Doch wie ein Schonraum wölben sich diese Wochen des Advents über unser Leben. Ein Ort des Schutzes mitten in den alltäglichen Anforderungen und Überforderungen. Wir müssen nicht immer Großes, gar Großartiges auf die Beine stellen. Es genügt, gute Ökonominnen und Ökonomen der Geheimnisse Gottes zu sein – gerade dann, wenn uns die Möglichkeiten des alltäglichen Lebens nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.

Nicht zuletzt sind die adventlichen Zeiten darum vor allem anderen und zuallererst gute Zeiten! Weil es Zeiten sind, in denen wir uns darauf besinnen, dass Gott gut ist. Und dass am Ende alles ein gutes Ende nehmen wird. Nichts anderes bleibt mir am Ende darum zu sagen als „Kehrt um! Freut euch!“ und zu guter Letzt: Amen!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.