Youtube-Gottesdienst im Rahmen der Reihe "For your soul" am 24. 12.2021

24.12.2021

Rauhe Hirtenwelt (Sprecher)
Manche Träume sind so schön, dass ich hoffe, Sie gehen nicht zu Ende. Den Hirten wird’s so gegangen sein. Keine schöne Welt. Tag und Nacht draußen unter freiem Himmel. Nachts Minusgrade. Ein Feuer, das nicht wirklich wärmt. Aber das Nachlegen von Holz hält mindestens wach. Einer musste immer wach sein. Musste Wache schieben. Schließlich mussten sie auf die Schafe aufpassen. Es waren ja nicht ihre. Sie hüteten sie gegen Geld. Wenig Geld. Bestenfalls ein Mindestlohn Zu wenig zum Leben und zum Sterben.

Dabei war dieses Hirtenleben hochgefährlich. Wilde Tiere, die Schafe reißen. Wölfe. Oder irgendwelche anderen finsteren Gesellen, die etwas zum Essen brauchten. Hirten sein hier Tag und Nacht die Augen offenhalten. Bis sie am Ende von selber zufallen. Kein dolce vita, kein süßes Leben, sicher nicht!

Süße Verführung (Sprecherin)
Irgendwie fühle ich mich den Hirten nah. Ein Leben, das kein Traum ist, das kenne ja nicht nur ich. Corona seit eineinhalb Jahren. Streit ums Impfen. Immer neue Regeln. Ich muss wachsam bleiben wie die Hirten, damit ich gut durchs Leben komme. Und wie ich hier meinen Teig bearbeite – das erinnert mich daran, dass die Hirten ja auch für ihr Leben sorgen mussten. Fladen im Feuer backen. Crossies im Backofen. Ist doch ganz ähnlich, oder?

Aber ich weiß nicht! Fladen sind ein Grundnahrungsmittel. Irgendetwas muss ich ja essen. Crossies sind süßer Luxus. An Weihnachten gönne ich mir halt was. Etwas, was ich mir sonst nicht gönne. Crossies. Plätzchen. Etwas Besonderes halt. Nicht nur gesundes Schwarzbrot. Sondern eine süße Verführung der Seele. An Weihnachten gönne ich mir den Traum, vom süßen Leben.

Ein Himmel voller Engel (Sprecher)
Ich finde, das gibt es einen großen Unterschied! Die Hirten haben sich diesen Traum nicht einfach gegönnt. Er kam über sie. Nachts. Wie Träume halt meistens nachts kommen. Der einzelne Engel zunächst. Sein: „Fürchtet euch nicht. Euer Retter ist geboren! Der, der euch rausholt aus eurer Misere.“ Das war wirklich der Traum, auf den sie gewartet haben. Süßer die Engel nie klingen. Diese Botschaft – ich bin sicher: Die haben sie gerne gehört. Es war zum süchtig werden. Erst ein Engel. Dann plötzlich der ganze Himmel voll. Nein kein Himmel voller Geigen. Ein Himmel voller Engel. Und voll von Engelsgesang. Im Himmel: Ehre sei Gott. Auf der Erde: Frieden für alle Menschen guten Willens!

Aus dem Traum will ich auch nicht aufwachen. Wenn mir die Zukunft einfach so in den Schoß fällt. Süße Früchte einer besseren Zukunft. Einfach so. Der Hunger nach einem besseren Leben -jetzt scheint er gestillt. 

Das süße Brot der Zukunft (Sprecherin)
Mich erinnert das an eine andere Geschichte. Eine Geschichte von Menschen auf der Flucht. Eine Geschichte in der Wüste. Die israelitischen Flüchtlinge haben sich aus der Sklaverei aufgemacht – in eine bessere Zukunft. Aber dann plagt sie der Hunger. Und sie wollen zurück. Zurück in ihre Sklavenleben. Hauptsache etwas zu essen. Da fällt süßes Brot vom Himmel. Einfach so. Süße Manna! Vorauskost einer besseren Zukunft.

Ihr Gottvertrauen hat sich gelohnt, so scheint‘s. Aber Vertrauen ist gut. Vorratshaltung aber noch besser. Sie fang an zu horten. Aber Früchte des Vertrauens lassen sich nicht horten. Ich muss jeden Tag neu warten. Die gesammelten Früchte, das Manna, es wird schlecht. Kann nicht mehr gegessen werden.

Sweets für den Retter (Sprecher)
So stelle ich mir das mit diesem Engelsgesang bei den Hirten auch vor. Die Engel lassen sich nicht festhalten. Ihre süßen Botschaften lassen sich nicht horten. Bestenfalls im Herzen. In der Erinnerung. Dann als der nächtliche Traum mit einem Mal zu Ende ist. Dann, als es wieder still ist. Und dunkel. Und der Himmel so schwarz wie zuvor.

Und doch ist etwas anders geworden. Die Hirten sind aus ihrer Lähmung herausgerissen. Sie machen sich auf in ein neues Leben. Packen Brot ein. Und womöglich auch die letzten Sweets, die sie sorgsam gehütet habe. Für besondere Anlässe wie diesen. Sie suchen dieses Kind, das ihr Retter sein soll. Als neu mit Hoffnung auf Leben Beschenkte wollen sie davon weitergeben. Beschenken nun andere. Das Kind. Seine Eltern. Sie haben im Traum von der neuen Welt gekostet.

Jetzt soll sie auch wirklich werden. Weihnachten heißt nicht nur, süße Träume zu haben. Drei Tage lang wenigstens. Weihnachten kann es nur werden, wenn ich am Ende aus meinen süßen Träumen aufwache. Wenn ich sie ins Leben ziehe. Wenn ich sie wirklich werden lassen.

Da kommt noch was (Sprecherin)
Dann ist dieser weihnachtliche der Engel vor den Hirten also keine Vertröstungsszene. Eher ein Beispiel, wie das wahr werden kann, was sich erst einmal nur süß andeutet. Ein Beispiel, wie süße Träume wirklich werden. Ob das weiterhilft – gerade in den dunklen Ecken der Gegenwart? Wo sich Ängste breit machen. Ängste um diese Gesundheit. Und den weiteren Verlauf der Pandemie. Ängste um liebe Menschen, die krank sind. Ängste um die Zukunft unserer Demokratie. Aber Ängste sind nie das Letzte. Da kommt noch was! Das feiern wir an Weihnachten

Weihnachtliche Sweets – endlich! (Sprecher)
Süße Träume haben ihre Zeit. Und die Veränderung der Wirklichkeit hat auch ihren Preis. Am Ende kommt‘s nicht darauf an, dass ich Träume habe. Am Ende kommt’s darauf an, dass die Welt eine andere wird. Dass nicht nur die Träume süß schmecken. Sondern vor allem auch die Wirklichkeit. Da haben wir noch einiges zu tun. Im Moment sowieso. Manche Plätzchen, die im Moment bei uns verteilt werden, sie sind nicht süß. Sie sind bitter. Und vergiftet. Ich bin dankbar, dass die weihnachtlichen Sweets schmecken. Und zum Leben verhelfen. Ich gönne sie mir heute.

Aber heute – heute ist die Gelegenheit, dass sich alle ihren Träumen hingehen. Weihnachten – da ist Plätzchenzeit. Zeit, neue Kräfte zu tanken. Der Alltag kommt schnell genug wieder. Gut, wenn die Crossies jetzt endlich fertig sind. Damit es endlich Weihnachten wird.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.