Predigt zu Galater 5 im Bezirksgottesdienst zum Unionsjubiläum im Rahmen des Bezirkskirchentages des Evangelischen Kirchenbezirks Bretten-Bruchsal am Sonntag, 31. Oktober 2021 (Reformation) in der evangelischen Stadtkirche in Heidelsheim

 

31.10.2021

NL 137,1: Finden wir Verschiedenen zusammen

Predigt - Teil 1
Liebe Gemeinde! Finden wir Verschiedenen zusammen…? Sie haben zusammengefunden. Am 28. Oktober 1821! Fast auf den Tag genau 300 Jahre nach dem Thesenanschlag Martin Luthers wird im ganzen Großherzogtum Baden gefeiert. Das erste gemeinsame Abendmahl der neu vereinigten lutherischen und reformierten Gemeinden.

Das Datum war nicht zufällig gewählt. Am Gedenktag der Reformation 1821 sollte in Baden ans Ziel kommen, was den Wittenbergern, Zürchern und Genfern nicht gelungen war: die Einheit der evangelischen Kirche.

Es muss ein beglückender Tag gewesen sein. In einem zeitgenössischen Dokument heißt es:
„Alle pfarramtlichen Nachrichten stimmen darin überein, dass ein schöneres kirchliches Fest nie noch von ihnen gefeiert, und dass das heilige Abendmahl nie so zahlreich bei ihnen besucht und nie mit so viel Ernst, Andacht und sichtbarer Rührung empfangen wurde als bei dieser Gelegenheit!“

Die Verschiedenen hatten zusammengefunden. Endlich! In diesem Jahr 2021 liegt dieser Jubelsonntag schon wieder 200 Jahre zurück. Die gute Nachricht: Wir sind nicht hinter den Anlass der Festfreude von 1821 zurückgefallen. Die Union hält. Bis heute. Mehr noch: Aus den einst zwei Kirchen ist untrennbar eine geworden. Ein ums andere Mal muss ich erklären, was sich damals ereignet hat. Worin das Besondere dieser einmaligen Union liegt. Dass damals noch getrennt war, was heute nicht mehr zu trennen  ist – niemand kann sich das mehr vorstellen!

Die nicht ganz so gute Nachricht: Die Christenheit ist noch weit entfernt davon, eins zu sein. Verschiedene genug gibt es noch, die eins werden müssen. Darum, so stelle ich mir vor, laden wir zum Reformationsgedenktag 2022 den Apostel Paulus als Prediger ein. Ich wünschte mir, das wäre möglich. Und ich bin sicher: Von der Freiheit eines Christenmenschen würde er sprechen. So wie wir‘s eben gehört haben:

Zur Freiheit hat euch Christus befreit, lasst euch doch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen.
Zur Einheit hat euch Christus befreit. Lasst euch doch nicht wieder das Joch der Zersplitterung auferlegen.
Zum tätigen Einsatz in der Welt hat euch Christus befreit. Lasst euch doch nicht wieder das Joch der weiter um sich greifenden Ungerechtigkeit auferlegen.

„Lieber Paulus“, so würde der Vorbereitungskreis des Gottesdienstes ihn fragen, „hast du ein Motto für diesen Gottesdienst, mit dem wir einladen und werben können?“ Nur kurz würde er überlegen – und dann sagen: „Ja natürlich: Christi Geist befreit zum Leben!“ „Muss dein Satz denn gleich so hochtheologisch daherkommen?“, fragt da ein Mitglied des Vorbereitungskreises zurück. Noch einmal denkt Paulus kurz nach. Dann sagt er: „Dann also anders: Freiheit – probier‘s doch einfach mal!“

Und damit dieses Motto etwas nachwirken kann, singen wir erst mal wieder.

NL 137,2: Bitten Jesu Geist um seine Gaben

Predigt - Teil 2
Liebe Gemeinde! „Bitten Jesu Geist um seine Gaben!“ Diese Bitte steht im Zentrum des Reformationsfestes 2046: 225 Jahre badische Union. Wieder wird in Baden gefeiert. Auch im Kirchenbezirk KKH. Ich frage nach, was dieses Kürzel bedeutet. „Kurpfalz-Kraichgau-Hardt“, bekomme ich zur Antwort. „Wir gehören schon lange zusammen.“ Wieder soll ein Gastprediger eingeladen werden.  Oder eine Gastpredigerin. Schließlich hat  die Zahl der Pfarrerinnen die der Pfarrer längst überholt.

Die Bischöfin der evangelischen Kirche in Südwestdeutschland sagt zu. Sie hat früher einer charismatischen Kirche angehört. Hat aber dann die Theologie der Reformation schätzen gelernt. Einer ist für meinen Glauben besonders wichtig, erklärt sie in der Predigt: Paulus! Die hohe Bedeutung die er dem Geist zumisst.

„Wandelt im Geist, schreibt er doch! Dann werdet ihr auch Anteil an den Früchten des Geistes haben. Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte. Aber wir müssen Paulus heute fortschreiben. Seine Liste ergänzen. Respekt vor den Mitmenschen. Liebe im Einsatz für Gerechtigkeit. Verantwortung für unseren einen Planeten Erde.“

Der Geist steht bei Euch nicht so hoch im Kurs wie in der Kirche, aus der ich komme. Ihr seid Verstandesmenschen. Luther. Melanchthon. Zwingli. Calvin. Ihr glaubt mit dem Kopf. Und der Großherzog und seine Unionsväter genauso.

Bildung ist euch wichtig. Und das ist auch richtig. Aber im Glauben gehören Verstand und Herz zusammen. Oder auch das Schmecken und sehen! Braucht doch alle eure fünf Sinne zum Glauben. Lasst eure Gefühle nicht außen vor. Die Theologie muss stimmen. Und die Wahrheit darf der Vernunft nicht widersprechen. Aber eure Gottesdienste sollen auch schön sein. Und zu Herzen gehen. Eure Feste sollen Leib und Seele guttun! Und auch dem Geist Gottes vertrauen“

Nach dem Gottesdienst wendet sich ein Journalist an die Predigerin. „Was soll ich als zentralen Satz eurer Predigt ins Netz stellen?“ „Zitiere doch einfach den Paulus!“, sagt die Bischöfin. „Wandelt im Geist, dann werdet ihr leben!“ „Das verstehen die Menschen nicht“, sagt der Medienmensch. „Geht das auch etwas weltlicher?“ „Ich will‘s versuchen!“, sagt die Bischöfin. „Schreib doch einfach, dass ich gesagt habe: Schön glauben und vernünftig handeln. Beides gehört zusammen!“

Lassen Sie sich durch den Kopf gehen, was die Bischöfin anlässlich des 225 Jahrestages der badischen Union gesagt hat. Und dabei den nächsten Vers singen.

NL 137,4: Bringen wir uns ein in Gottes Namen

Predigt - Teil 3
Liebe Gemeinde! „Bringen wir uns ein in Gottes Namen!“ Ein wunderbares Thema für das Reformationsfest 2072. 555 Jahre ist es her, seitdem Martin Luther seine Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hat. Aber das ist gar nicht das Hauptthema des Gedenkens. Der Blick geht zwar schon zurück. Aber nur 50 Jahre. Gefeiert wird der Rückblick auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe im Jahre 2022.

Erinnert wird an die 5.000 Gäste aus aller Welt, die damals gekommen waren. Aus über 300 Mitgliedskirchen. Die äußeren Bedingungen sollen nicht leicht gewesen sein. Von einer Pandemie erzählen die Unterlagen. Von weltweit nötigen Impfprogrammen. Und wie lange die ärmeren Länder auf den Impfstoff hätten warten müssen. Die Reichen hätten erst einmal an sich selber gedacht.

Es ist nicht einfach nur ein besonderer Gast, der den Gottesdienst leitet. Es sind drei Teams aus Mitgliedern der drei großen kirchlichen Strömungen. Protestantisch. Orthodox. Katholisch. Sie haben sich das Motto der Vollversammlung vor 50 Jahren zum Thema gemacht: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“

„Gut, dass wir heute näher an diesem Thema sind als die Schwestern und Brüder damals. „Es sind die Menschen des protestantischen Teams. Kirche in Bewegung nennen sie sich. Im Rückgriff auf das damalige Thema der Vollversammlung aus dem Jahre 2022. „Gottes Geist hat uns in Bewegung gehalten, als wir als Kirche zu erstarren drohten. Strukturen, Finanzen. Mitgliedszahlen. Aber Gottes Geist hat uns damals ganz schön durcheinandergewirbelt. Hat uns in manchen Krisen kräftig geschüttelt. Doch am Ende hatten wir keine Angst mehr vor der Zukunft. Anders ist die Kirche geworden., Aber sie ist immer noch vital und lebendig. Und mehr denn je nah bei den Menschen.“

Das orthodoxe Team legt noch einiges dazu. Kirche der Versöhnung haben sie sich als Namen gegeben. Auch hier stand das Motto im Hintergrund: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“

„Wir waren damals ganz schön zersplittert. Und auf Abgrenzung bedacht. Griechisch-orthodox. Russisch. Ukrainisch. Rumänisch. Serbisch. Antiochenisch. Äthiopisch-orthodox – wir können uns das gar nicht mehr vorstellen. Längst haben wir unseren Teil zur Versöhnung der Menschen beigetragen. Gut, dass diese alten Zeiten vorbei sind. Das Signal aus Karlsruhe hat unseren Altvorderen im Glauben damals Mut gemacht.“

Das katholische Team kann das alles nur bestätigen. Auch dieses Team erinnert an das Karlsruher Motto. „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt.“ „Kirche der Einheit“ wollten sie sein. „Schließlich waren wir schon lange eine weltweite Kirche“, sagte eine Frau aus diesem Team. „Längst feiern wir alle gemeinsam miteinander Abendmahl. Unabhängig von unserer Kirchenzugehörigkeit. Frauen und Männer zusammen. Auch in der Leitung. Das war auch eine Art Union damals. Die einzelnen Kirchen gibt es noch immer. Aber die Grenzen zwischen ihnen sind gefallen. Wir laden uns gegenseitig zu unseren Gottesdiensten ein. An vielen Orten nutzen wir unsere Kirchen gemeinsam. Und wir erheben gemeinsam unsere Stimmen, wenn es gilt die Schöpfung und die Menschen auf dieser Erde zu schützen.“

Gemeinsam rollen die drei Teams ein Plakat aus. Darauf steht: „Solchermaßen einig in sich und mit allen Christen in der Welt befreundet…!“ Aus der Gemeinde gibt es Widerspruch. „Auch wenn dieser Satz aus der badischen Unionsurkunde aus dem Jahr 1821 stammt“; sagt eine Frau, „so würden wir das heute nicht mehr sagen.“ „Wie denn sonst?“, möchte da jemand wissen. Und die Frau antwortet: Vielleicht geht es so: „Unisono – einfach: vielstimmig eins!“

Das könnte wirklich passen, denke ich. Und schließe darum mit einem dankbaren Amen.

Unisono. Vielstimmig eins. Wir können diesen Satz jetzt gleich musikalisch nacherleben. Auf uns wirken lassen. Und danach noch einmal in die erste Strophe einstimmen.

NL 137,1 (aus dem Chaos ins Unisono)

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.