Gottesdienst am Pfingstsonntag in der Stadtkirche in Schwetzingen (Youtube-Format)

23.05.2021

Die Kirchen der Reformationen, die evangelischen Kirchen: Kirchen des Wortes werden sie oft genannt. Kirchen voller Leidenschaft für Theologie. Voller Engagement, für dich, Gott, die rechten Worte zu finden, wo uns doch eigentlich nur das Stammeln bliebe. Und die geisttrunkene Rede.

Die Kirchen der Reformation, singende Kirchen sind sie auch, Choräle und Kantaten, Lieder und Jubelgesänge – bis heute.

Das Singen wollen wir auch hier wagen, mit einem neuen Lied, für diesen Geburtstagssonntag geschrieben, 200 Jahre Evangelische Landeskirche in Baden, mit Worten von mir und Tönen, die Detlev Helmer für diese Worte gefunden hat – und Stimmen, die wir hier alle jetzt in das gesungene Gotteslob einbringen. – Zunächst die erste Strophe dieses Festliedes zur badischen Kirchenunion:

Vereint im Glauben, befreundet mit allen
Christinnen und Christen. Gott mag‘s gefallen!
Was die Mütter und Väter uns übergeben,
wird Zeichen des Aufbruchs, neu Kirche zu leben.

 

Der Aufbruch, Kirche neu zu leben – dieses erste Pfingsten vor 2000 Jahren – hört, wie in der Apostelgeschichte davon berichtet wird:

(Apostelgeschichte 2) -
Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und ergriffen jede und jeden, und sie wurden alle erfüllt vom Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.

Reden in anderen Sprachen – verständliche Gottesrede, so dass alle verstehen, was gemeint ist – diese Erfahrung steht am Anfang der Kirche. Aber diese Erfahrung steht nicht am Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen.

Gott lässt den Menschen in verschieden Sprachen zu Wort kommen. Um uns Menschen zu schützen. Um uns zu davor zu bewahren, der Macht unserer Worte zuviel zuzumuten. Menschliche Vielstimmigkeit steht am Ende einer Erzählung, die wir ganz am Anfang der Bibel finden. Eine Geschichte vom Hochmut des Menschen und des Großmutes Gottes.

 

Mose 11,1-9 (Paraphrase)
Es war zur Zeit, als es in der Welt nur eine einzige Sprache gegeben hat. Da sprachen die Menschen zueinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel formen und brennen! – und sie nahmen Ziegel aus Stein und Mörtel und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass unser Name nie mehr vergessen wird in der Geschichte der Menschheit.  Denn sonst gehen wir in ihrer Buntheit und Vielgestalt unter.

Da fuhr der Herr hernieder und sprach: Siehe, es ist ein einziges Volk mit einer einzigen Sprache.  Dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, ich will ihre Sprache verwirren, so dass niemand mehr die Sprache der anderen versteht.  So zerstreute sie der Herr von dort über die ganze Erde. Daher heißt ihr Name Babel, das heißt Verwirrung, weil der Herr ihre Sprache verwirrt und sie über die ganze Erde zerstreut hat.

 Bußfertiges Schweigen, liebe Gemeinde! Nicht mehr verwirrende Rede! So hat auch die Geschichte der badischen Landeskirche begonnen. Strittige Rede seit 300 Jahren um das rechte Verstehen des Abendmahles. In den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts bricht die evangelische Einheit darüber auseinander. 1529 in Marburg.

Fünf Minuten Schweigen reichen, um diesen Streit aus der Welt zu schaffen. Der Leiter der Generalsynode fragt nach Widerspruch zum neuen gemeinsamen Verstehen. Der Widerspruch bleibt aus. Aus dem Schweigen wächst ein neuer Zweig der einen Kirche Jesu Christi. Die Vereinigte evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogtum Baden war aus der Taufe gehoben. – Davon lasst uns singen: Strophe 2!

 

Vereint im Glauben, nicht durch Lehre getrennt -
weil in neuem Geist das Licht der Wahrheit brennt -,
wagt die Synode im Entscheiden und Schweigen
der Welt ihren Willen zur Einheit zu zeigen.

 

Baden ist nicht Babel! In Babel war alles anders. Keine Kirche. Kein Schweigen. Kein Ort, um zu hören, was Gott den Menschen zu sagen hat. Stattdessen: Menschen wollen sich einen Namen machen. Von ihnen soll noch zu reden sein. Auch nach Tausenden von Jahren.

Gott kann ihnen, so scheint‘s, keinen Strich durch die Rechnung machen. Wir reden immer noch von ihnen. Von ihrem maßlosen Bauwerk. Dem Turm, der Himmel und Erde verbindet. Aber in dieses Reden mischt sich der Höhnische Gesang der Engel. Wir reden von ihnen, weil ihnen nicht gelang, was sie sich vorgenommen hatten.

Babel – eintausendfünfhundert Jahre vor Christus - ist ein Trümmerfeld - bis heute. Spuren menschlicher Größe und menschlichen Übermuts. Spuren menschlicher Hybris und menschlichen Scheiterns. Wir wissen nicht genau, was damals passiert ist.

Gehört haben wir: Gott hat das menschliche Reden verwirrt. Worte haben keine Gemeinschaft mehr gestiftet. Aus dem Scheitern wird Schutz. Der Schutz davor, sich zu übernehmen. Bewahrung vor dem Übermaß des Vertrauens in die eigenen Möglichkeiten. Nicht „Sein wollen wie Gott“ ist unser Lebensprogramm – sondern „Sein dürfen wie ein Mensch“!

Vielstimmig und unterschieden. Und doch gerade darin eins. Und aus Babel wird Baden. Aus der Verwirrung – aufs Neue – Einheit! - Auch davon lasst uns singen! Strophen 3 und 4!

 

Vereint im Glauben an den Tisch geladen,
sind Brot und Wein Zeichen der Hoffnungstaten
des einen, der will, dass wir fürsorglich handeln
und die Schöpfung in Gottes Garten verwandeln.

Vereint im Glauben seit zweihundert Jahren,
als Menschen mutig im Aufbrechen waren,
sind wir, die wir vielstimmig Kirche gestalten
noch immer im Glauben gestärkt und gehalten.

 

Geburtstag: noch einmal neu anfangen. Mitten im Alten. Dankbar zurückblicken auf die eigene Geschichte. Nichts beschönigen. Nichts vertuschen. Nichts verschweigen. Keine Gelegenheit auslassen zur Umkehr. Zur Buße. Die Geschichte unserer Kirche im Dritten Reich. Noch keine 100 Jahre her. Die Geschichte unserer Kirche im Umgang mit den Frauen, vor denen sie die Türe ins Pfarramt verschlossen gehalten hat. Gerade 50 Jahre, dass es anders ist. Die Geschichte unserer Kirche auch im Umgang mit den Erfahrungen von Menschen mit sexualisierter Gewalt. Da stecken wir noch mittendrin. Umkehr tut Not. Umkehr wird aber auch zur Möglichkeit. Gott sei Dank!

Geburtstag: noch einmal neu anfangen dürfen! Aus dem Alten heraus ins Neue. Aus der Vergangenheit mitten hinein in die Zukunft. Aus dem Rückblick auf 200 Jahre Geschichte der Evangelischen Landeskirche in Baden hinein in ein Jahr des Feierns. Dankbar bin ich und froh. In Feierlaune – trotz der Umstände der Pandemie. Dankbarkeit lässt sich nicht aufhalten.

Gottes Geist drängt uns! Zum Beten und zum Schweigen. Zum Hören und zum Singen. Amen,

Vereint im Glauben zum Feiern geladen
sind wir mit Lust evangelisch in Baden,
wollen Kirche im Geist der Ökumene sein.
Christi Liebe drängt uns und lädt zur Einheit ein.

 

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.