Andacht am Beginn der Sitzung des UEK-Präsidiums

25.03.2021

Liebe Schwestern und Brüder. Der Streit um Ostern hat in den letzten 48 Stunden ganz schön heftig die Gemüter erregt Genauer gesagt, nicht der Streit um Ostern, sondern um die ursprünglich geplante Osterruhe und die Ostergottesdienste. Die Frankfurter Rundschau, von der ich seit Studientagen nicht loskomme, machte gestern mit folgendem Bild auf der Titelseite auf:

  Titelbild FR 24.3.2021

Ein zerbrochener Osterhase. Wie ein Puzzle, das wieder in seine Einzelteile zerlegt oder auseinandergebrochen ist. Noch sind wir mitten in der Passionszeit. Da rütteln nicht nur uns in den Kirchen heftige, vor allem politische Turbulenzen rund um Ostern auf. Und ein zerbrochener Osterhase muss dazu als Symbol herhalten. Auch wenn es in der Sache ja um viel mehr und um ganz anderes geht.

Noch sind wir mitten in der Passionszeit. Da kommt dieser doch spürbaren Ostersehnsucht dieses gelinde gesagt Ritardando in die Quere. Auch wenn die zwar nie verordnete, dann zunächst doch doch klar und deutlich erbetene gottesdienstliche Generalpause so wie ursprünglich gedacht sicherlich nicht kommt.

Ich wende mein Bild nicht ohne Grund von der Schockolade zur Musik. Nicht nur, weil mir die dafür als geeigneter erscheint. Sondern weil gestern in allem Corona-und Oster-Lockdown-Trubel ein kleines, aber feines Jubiläum beinahe gänzlich untergegangen ist, nämlich: dreihundert Jahre Brandenburgische Konzerte. Zumindest trägt die uns erhaltene Partitur dieser Sammlung verschiedener Konzerte dieses Datum: 24.3.1721. Bach hatte sie dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt gewidmet.

Eine Beobachtung von Nikolaus Harnoncourt bei einer Erläuterung der Brandenburgischen Konzerte im Internet hat mich aufhorchen lassen. Er weist darauf hin, dass das erste Konzert nicht wie in den italienischen Vorbildern üblich drei, sondern vier Sätze hat. Warum? Antwort Harnoncourt: „Aus medizinischen Gründen!“ Der dritte Satz habe einen zu aufregenden Schluss, dem müsse als Beruhigungspille ein vierter folgen. „Es hätte sonst die Gefahr bestanden, dass ein Zuhörer so aufgeregt in den Straßenverkehr des Barock entlassen worden wäre, dass man ihn womöglich überfahren hätte.“ Der vierte Satz war also überlebenswichtig. [1]

Auf heute gewendet frage ich mich: Wer komponiert, wer spielt uns den doch so wie nie überlebenswichtigen vierten Satz? Wer spielt uns den Satz, der den aufregenden dritten Lockdownsatz, in dem wir derzeit hin- und hergeschüttelt werden, in seiner Wucht auffängt und ins große Ganze einordnet und zu einem guten Ende bringt?

Bei meiner Suche nach dem vierten Satz kommt mir das heutige Datum zu Hilfe. Mitten in der Passionszeit richtet sich der Blick nicht nur auf das kommende Osterfest. Er darf sich heute durchaus auch schon auf Weihnachten richten. Heute ist der 25. März, der Tag der Verkündigung des Herrn. Neun Monate, eine Schwangerschaftsdauer vor dem Fest der Geburt Jesus am 25.Dezember. AN diesem heutigen kleinen Festtag im Kirchenjahr geht es um den Besuch des Erzengels Gabriel bei Maria.

In den Kirchen der UEK ist das kein Fest, um das wir besonders viel Aufhebens machen würden. Für Martin Luther war es immerhin „eins der fürnehmsten Fest.“ Um mariologische Fragen geht’s mir aber auch gar nicht. Vielmehr um das Lied, das Maria kurz nach diesem Besuch des Engels singt. Beim Zusammentreffen mit ihrer Verwandten Elisabeth. Als sie ihren Lobgesang, das Magnificat anstimmt.

Die Hoffärtigen – was für ein schönes Wort – die Hoffärtigen, die alle Bedrohung leugnen, werden in ihre Schranken verwiesen. Aber doch auch manch andere, die ebenso hoffärtig in der Gefahr stehen, die Gemengelage der Gefühle und die Ängste der Menschen zu übergehen. Und manchmal sind wir auch als Kirche vor all diesen Hoffärtigkeiten nicht gefeit.

Und dann das tröstliche Finale dieses Liedes, fast eine Art verbales finale grande: „Er gedenkt an seine Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf“ – und doch sicher auch all den Dienerinnen und Dienern unserer Tage.

Auf diese Melodie dieses Liedes, so denke ich, ließe sich doch dieser vierte Satz aufbauen, der überlebensnotwendige Satz, der uns die Turbulenzen des dritten Lockdown-Satzes nicht nur aushalten, sondern uns auch neu leben lässt. Gott gedenkt! Gott hilft auf! Gott selber lädt zum Spiel des vierten Satzes! Lässt uns neue Lieder singen und bringt neue Sätze zum Klingen. In der Aufmerksamkeit für diesen einen, der uns bis heute und immer wieder neu unerhörte Töne des Lebendigen zu Gehör bringt.

Deshalb will ich schließen mit einer kurzen Gebetsbitte:

Viel Töne dringen derzeit auf uns ein, Gott!
Viele Töne lassen wir auch selber vernehmen.
Lass uns gemeinsam aufmerken und aufhorchen
auf die Töne des Miteinander, die du uns zu hören gibst.
Lass uns die Klänge deiner Menschenfreundlichkeit wahrnehmen.
Und binde unsere bisweilen misslich gestimmten Töne ein
in den großen Vielklang deiner Fürsorge und Schöpfungsliebe,
den du auch heute über uns ausbreiten willst. Amen.

 

 


[1] https://epaper.fr.de/webreader-v3/index.html#/468358/24-25; abgerufen am 24.03.2021

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.