KLARTEXT zum 11. Sonntag nach Trinitatits für ZEITZEICHEN 8/2022

28.08.2022

Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! (…) Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. (2. Samuel 12,7.13)

Predigen können wie Nathan – das wär‘s! Wie gebannt hängt ihm David an den Lippen. Was der Prophet ihm erzählt, geht ihm durch Mark und Bein. Er lebt mit, wird ergriffen mit Leib und Seele. Wen wunderts, dass das Einverständnis zwischen Prediger und Hörer nicht auf sich warten lässt. Der Prophet hat Recht, er hat gut und böse wunderbar einander gegenübergestellt. Die Schuldigen sind identifiziert. Und David weiß sich – gottseidank – auf der richtigen Seite.

Der Absturz danach könnte nicht schrecklicher sein. „Der, der sich schuldig gemacht hat und den Gottes Bannstrahl zurecht treffen möge – du bist es!“ Die Miturheber des Abschmelzens der Polkappen und der Versteppung ehemals fruchtbarer Flächen: Ich bin es! Die Mitverursacher unsinnigen Energieverbrauchs und Erzeuger unnötigen Abfalls: Ich bin es! Der stille Teilhaber am Gewinn des weltweiten Verkaufs von Waffen: Ich bin es! Der Mitbeteiligte an Unfrieden, in den kleinen gefährdeten Beziehungen, die mich tragen: Ich bin es! Wie lässt es sich da noch sorglos weiterleben?

Doch Nathan ist nicht einfach ein Gerichtsprediger – an denen haben wir ohnedies keinen Mangel. Der Prophet predigt gewissermaßen „frühreformatorisch“! Er lässt dem Gericht das Evangelium folgen. Der Überführte nimmt sein Urteil an, sieht sein Unrecht ein. Und kehrt um! Nathan entlässt David zurück ins Leben. Er nimmt auch mich mit hinein in diese Bewegung der radikalen Umkehr. Lässt auch mich von Neuem leben. Und womöglich noch gnädiger predigen!

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.