Wort zum Tag (SWR2) am 2. Dezember 2022

02.12.2022

Vor wenigen Wochen habe ich mein erstes Enkelkind bekommen. Eine unglaublich überwältigende und schöne Erfahrung! Und eine Erfahrung, die sehr gut in diese Zeit passt. Schließlich ist die Adventszeit auch vom Warten auf die Geburt eines Kindes geprägt, mit dem die Welt ein neues Gesicht bekommt.

Der Geburt unserer Enkeltochter ging auch eine Zeit des Wartens voraus. Nicht nur bei den Eltern. Nein, auch bei mir und meiner Frau. Schließlich wollten wir uns auf unsere neue Rolle als Großeltern einstellen. Advent ist es in diesem Jahr für uns also schon geworden, ehe der Advent im Kalender begonnen hat.

Das Warten haben viele Menschen in diesem Jahr aber auch aus anderen Gründen neu lernen müssen. Viele Dinge, die uns anscheinend immer selberverständlich und in Hülle und Fülle zur Verfügung gestanden haben - plötzlich gibt es sie nicht mehr. Nudeln und Öl im Lebensmittelgeschäft. Nägel im Baumarkt. Viele Kleinigkeiten auch, die derzeit einfach nur sehr schwer zu kriegen sind. Eine neue Erfahrung für eine Gesellschaft, die die Kunst des Wartens über Jahrzehnte gar nicht mehr erst hat lernen müssen. Die Lieferketten sind unterbrochen, so wird das in den Nachrichten in der nüchternen Sprache der Wirtschaft beschrieben.

Ich frage mich: Ist also angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine die Lieferkette für Frieden auch einfach unterbrochen? Und die Lieferkette für einen vernünftigen Umgang mit unserer Umwelt dazu? Vielleicht geht es ja in diesem Advent gerade darum, aushalten zu lernen, dass die Lieferketten für ein Leben, wie ich es gerne hätte, auch immer wieder unterbrochen sind?

Advent ist für mich darum eine Zeit der Zusage, dass die Lieferkette Gottes hält. Gerade auch dann, wenn ich es neu lernen muss, das Warten auf das, was das Leben ausmacht, auszuhalten. Weil die Welt eben nicht so aussieht, wie ich sie mir wünsche. Und sicher auch nicht so, wie sie nach Gottes Willen sein soll. Im Neuen Testament wird dieses Warten mit folgenden Worten beschrieben: „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, voll von Gerechtigkeit. Weil wir der Zusage Gottes vertrauen.“ (2. Petrus 3,13) Am Ende also lohnt sich das Warten. Weil die Hoffnung auf das, was kommt, meinen langen Atem stärkt. Und weil ich meiner Enkeltochter wünsche, dass die Welt, in die hinein sie aufwächst, wieder friedlicher sein wird als im Moment.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.