Morgen-Impuls zur Tageslosung im Rahmen der Delegiertenversammlung der ACK Baden-Württemberg auf der Insel Reichenau

01.04.2022

Liebe Schwestern und Brüder!

„Die erste Viertelstunde ist das Steuerruder des Tages!“ Von Augustin stammt dieser Satz. Die erste Viertelstunde des Tages ist zwar schon vergangen. Aber womöglich ist die erste Viertelstunde einer Sitzung auch das Steuerruder des ganzen Sitzungstages. Darum ist es nie gleichgültig wie wir beginnen.Dieser Vers, den wir eben im Psalm miteinander gebetet haben, ist die Tageslosung für diesen Tag. Ein wunderbarer Vers am Morgen und am Beginn einer neuen Sitzung.

Auf unseren Tagesordnungen, denen in der Welt und denen in den Kirchen, steht derzeit anderes. Sie sind bestimmt von dem, was uns derzeit alles in Atem hält oder auch den Atem nimmt. Sie sind so sehr bestimmt, dass mir ein Satz aus dem Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bert Brecht in den Sinn gekommen ist. Der Satz lautet:

Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

Können, dürfen wir über anderes reden als über diesen bösen und unsinnigen Krieg – geführt mit Christenmenschen auf allen Seiten? Karl Barth wurde im Frühsommer 1933, als er noch als Professor in Bonn lehren durfte, auch danach gefragt, ob er weiter einfach Theologie lehren dürfe. Ich lese einen kurzen Abschnitt aus seiner Antwort:

Mir ist in einer zuletzt nicht mehr zu überhörenden Weise zugerufen worden, dass manche unter meinen ehemaligen akademischen Zuhörern und auch manche Andere von den an meiner theologischen Arbeit Beteiligten sich längst fragten, ob ich zu den uns alle nun seit Monaten beschäftigenden kirchlichen Sorgen und Problemen nicht auch etwas zu sagen haben möchte. Ich möchte dazu zunächst dies bemerken dürfen: das Entscheidende, was ich heute zu diesen Sorgen und Problemen zu sagen versuche, kann ich darum nicht zum Gegenstand einer besonderen Mitteilung machen, weil es sehr unaktuell und ungreifbar einfach darin besteht, dass ich mich bemühe, hier in Bonn mit meinen Studenten in Vorlesungen und Übungen nach wie vor und als wäre nichts geschehen – vielleicht in leise erhöhtem Ton, aber ohne direkte Bezugnahmen – Theologie und nur Theologie zu treiben. Etwa wie der Horengesang der Benediktiner im nahen Maria Laach auch im Dritten Reich zweifellos ohne Unterbruch und Ablenkung ordnungsgemäß weitergegangen ist. Ich halte dafür, das sei auch eine Stellungnahme, jedenfalls eine kirchenpolitische und indirekt sogar eine politische Stellungnahme!

Karl Barth, Theologische Existenz heute 1933 

Theologisch aktiv zu sein – wie der Horengesang der Bendiktiner im Kloster Maria Laach – dieser Vergleich hatte mich schon als Student beeindruckt. Vor allem weil ich wusste, dass Karl Barth Stellungnahme von den Nazis sehr wohl gehört wurde und ihn bald darauf auch seine Stelle gekostet hat.

Die heutige Losung ruft mir diese Haltung in Erinnerung:

Herr, tue meine Lippen auf,
dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

Das ist das Wichtigste am Morgen. Auch an diesem Morgen: Meine Lippen zu öffnen und Gottes Ruhm bekannt zu machen in der Welt! Das ist auch das Verbindende zwischen uns, die wir hier als Vertreterinnen und Vertreter ganz unterschiedlicher Kirchen miteinander in dieser Delegiertenversammlung unterwegs sind.

Unser Gotteslob ist vielstimmig – gewiss. Unser Gotteslob kann nicht glaubhaft geschehen ohne den Blick auf die bedrängten Schwestern und Brüder. Aber es macht sich als Gotteslob vernehmbar - als Gotteslob – vielleicht oder hoffentlich – in leicht erhöhtem Ton, wie Karl Barth geschrieben hat.

Schweigen und Wegsehen – das ist kein Gotteslob. Aber im Handeln das Beten nicht vergessen. Und im Hilfeschrei den Dank und das Gotteslob, das ist uns aufgetragen. Daran erinnert mich diese heutige Tageslosung.

Ich lade sie ein mitzubeten:

Du, Gott der Barmherzigkeit, Dankbarkeit steigt als erstes aus meinem Herzen – für die hinter mir liegende Nacht. Für die Gemeinschaft der Schwestern und Brüder. Für die Möglichkeit, an deiner Kirche mitzubauen.

Du, Gott des Friedens, die Sorgen, die sich in mir ausbreiten, kann ich nicht wegwischen. Von meinem Glauben zu reden, dich als Gott zu bekennen, das gelingt  mir nicht, ohne die Schreie der Verzweifelten und vom Krieg Gebeutelten zu hören. Ohne die Hungrigen zu sehen, die täglich mehr werden. Es gelingt mir nicht ohne die Hoffnung, dass am Ende Du die Oberhand behältst und nicht die Handlanger des Bösen.

Du, Gott der Zukunft, an deiner Kirche ist dir gelegen. Daran, dass sie glaubwürdige Zeugnis gibt. Daran, dass sie in ihrer Vielgestaltigkeit für viele Menschen ihre Türen weit öffnet. Daran, dass sie sich nicht selber als ohnmächtiger ausgibt als sie es nach deinem Willen ist.

Ihre Worte dringen tief in dein Herz. Auch jetzt, wenn wir beten, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat:

Vaterunser

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.