Geistlicher Impuls am Beginn der Gründungsversammlung Arbeitsgemeinschaft der Altenhilfe am 19. Mai 2022 im Schloss-Hotel in Karlsruhe

19.05.2022

Wer die Füße auf Neuland setzt, kann Worte des Zuspruchs sicher gut vertragen. Ein geistlicher Impuls kann helfen, die Richtung des Tages und die der geplanten Neuaufstellung dazu in rechter Weise zu finden und in die Zukunft auszuziehen.

Ich freue mich wirklich sehr, dass mir diese geistliche Aufgabe heute zufällt. Da wir noch am Beginn dieses Tages stehen, muss ich Sie noch nicht allzu sehr schonen, sondern kann Sie frohgemut und ohne allzu kühn zu sein zu ein paar denkerischen Suchbewegungen einladen.

Wer Neues wagt, braucht dazu Ressourcen - und ich meine jetzt nicht nur in finanzieller Hinsicht. Ich will Sie deshalb als geistlichen Impuls in eine kleine Schule der geistlichen Resilienz in Zeiten der Veränderung einladen. Und mir dies ganz konkret in sieben geistlichen Übungs-Impulsen vornehmen.

Dass ich jeden Übungs-Impuls mit einem kleinen biblischen Zitat beginne, soll zeigen, dass die Quellen unserer Resilienz durchaus nicht nur in der Gegenwart oder in der jüngeren Vergangenheit zu finden sind.

Übungs-Impuls 1: Geistig-geistliche Offenheit
Der erste Satz ist ein eher fromm daherkommender! „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der taugt nicht für Gottes neue Welt.“ Der Evangelist Lukas hat Jesus diesen Satz in den Mund gelegt. Unüberhörbar stammt er aus einer landwirtschaftlich geprägten Welt. Die Leute wussten, wie das Pflügen geht. Und sie wussten auch, dass man den Blick konsequent nach vorne richten muss, wenn die Furchen nicht kreuz und quer über das Feld laufen sollen.

Auf uns gewendet: Nostalgie ist zwar ein schönes Gefühl. Aber die Zukunft wird im konsequenten Agieren nach vorne gewonnen. Die Augen zu verschließen angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen – das geht nicht. Eine angemessene geistliche Haltung kennt die Vergangenheit. Aber die Schätze des Lebens werden in der Zukunft gewonnen.

Übungs-Impuls 2: Bewährtes bewahren. Neues Initiieren!
Auch hierzu ein Satz – dieses Mal von Paulus! Der kommt gleich noch einmal zu Wort. Jetzt erst einmal mit dem Satz: „Prüfet alles. Und das Gute behaltet!“ Anders kann‘s nicht gehen. Alles muss in den Blick. Alles muss auf den Tisch. Aber nicht alles ist es wert, dass wir es mühsam durchschleppen. Wer eine Neugründung vorhat, kommt um diese Unterscheidung nicht herum. Eine alte Weisheit ist das.

Auf uns gewendet: Auch liebgewordene, vertraute Strukturen müssen wir manchmal drangeben. Nur so entsteht Raum fürs Experimentieren, Raum für Veränderung. Nichts bringt Liebgewordenes derart in Bewegung als der auf Veränderung ausgerichtete Wandelgeist-Gottes.

Übungs-Impuls 3: Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden!
Gleich noch einmal Paulus. Fast die Fortsetzung des letzten Gedankens: Alles ist euch erlaubt! Aber nicht alles dient dem angestrebten Ziel, nicht alles ist heilsam. Ein Appell gegen alle Ängstlichkeit bei Veränderungsprozessen verbirgt sich hinter diesem Satz. Es gibt nichts, was von vornherein ausgeschlossen bleiben muss. Aber allem Entscheiden müssen wir eine Aufgaben- und Prozesskritik voranstellen.

Auf uns gewendet: Wirklich alles einmal als Möglichkeit ansehen, sich nicht selber vorschnell beschneiden, das erfordert Mut. Aber manches müssen wir am Ende trotzdem drangeben. Gerade das Loslassen eine besonders intensive geistliche Lernerfahrung. Weil die Welt einfach eine andere geworden ist.

Übungs-Impuls 4: Den Veränderungen beim Thema Alter gerecht werden.
Jetzt springen wir ins Alte Testament, in einen Psalm. Ein bekannter Satz lautet dort: „Unser Leben dauert 70 Jahre, wenn’s hochkommt 80 Jahre. Und was daran köstlich erscheint – zuallererst ist es Müh und Arbeit gewesen.“ Diese Rechnung geht längst nicht mehr auf. Statistisch werden die Menschen heute viel älter als es diese biblische Weisheit beschreibt. Und der Umgang mit dem, was wir Assoziieren, wenn wir von Altenhilfe reden, ist auf ein geweitetes Spektrum hin ausgerichtet.

In der Kirche höre ich immer wieder den Satz: Die Jugend ist die Zukunft der Kirche. So lapidar stimmt er gar nicht. Ob wir Zukunft haben, hängt entscheidend davon ab, wie wir mit den alten Menschen umgehen. Und wie wir mit dem Thema unserer Endlichkeit, unserer Sterblichkeit umgehen.

Auf uns gewendet: Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit erfordern veränderte Reaktionsmuster. Mental. Politisch. Diakonisch. Und geistlich dazu. Gerade auch im Blick auf die letzte Phase eines Menschenlebens. Nur dauert es mir manchmal fast zu lange, bis sich diese Einsicht durchsetzt.

Übungs-Impuls 5: Die Form dem Inhalt anpassen
Natürlich finden sich bei dieser biblischen Ressourcensuche auch Hinweise zur Art der Veränderung. Etwa in einem ganz berühmten Zitat des Rabbis aus Nazareth: „Man füllt auch nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche und der Wein wird verschüttet und die Schläuche verderben. Sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche, so bleiben beide miteinander erhalten.“ Wenn die Anforderungen neu sind, müssen sich auch die Strukturen ändern. Neuer Wein bringt alte Schläuche zum Platzen.

Auf uns gewendet: Der prüfende Blick auf unsere Strukturen ist immer auch ein geistlicher Blick. Weil er weiß, dass wir uns viel an Ärger ersparen, wenn wir Form und Inhalt nicht mutwillig auseinanderreißen.

Übungs-Impuls 6: Die Goldene Regel
Einen Satz gibt es, der darf hier nicht fehlen. Weil er in fast allen anderen Religionen auch nicht fehlt. Es ist gewissermaßen der Satz, der die Summe aller Religion, auf jeden Fall aller Ethik ganz schlicht zusammenfasst: „Alles, wovon ihr wollt, dass es die Leute euch tun, das tut ihnen auch!“ Wie gesagt: In allen großen Weltreligionen findet sich dieser Satz. Diese sogenannte Goldene Regel. Eigentlich beschreibt sie ganz einfach ein geistlich-diakonisches Grundprinzip.

Auf uns gewendet: Es ist nicht ungeistlich, sich selber zum, Spiegel zu machen, wenn ich in meinem Gesicht das meines Mitmenschen entdecke. Und dabei dem nachspüre, was es heißt, Würde zu haben. Und Gottes Ebenbild zu sein. Das lässt mich leben, stärkt meine Resilienz. Und es kommt zugleich meinen Mitmenschen zugut.

Übungs-Impuls 7: Geistliche Neuwerdung
Das Thema Neuwerdung ist das bleibende Subthema der Bibel. Alles soll, alles muss neu werden. Ganz am Ende der Bibel, quasi auf der letzten Seite geht es noch einmal um dieses Thema. Da heißt es: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Siehe, Neues ist geworden!“ Ein schönes Bild gerade auch für die Gründungsversammlung des Ständigen Ausschusses der Altenhilfe. Eine Zielbeschreibung, die nicht unterscheidet nach ambulant oder stationär. Ihr geht es darum, was am Ende als Wirkung bleibt. Und ob’s den Menschen zugute kommt!

Auf uns gewendet: Prozesse und Strukturen verschlingen dann die meisten unserer seelischen Ressourcen, wenn sie ins Leere laufen. Wenn sie unangemessen oder nicht herausforderungsadäquat sind. Geistliche Strukturen versuchen Aufwand und Wirkung so zu optimieren, dass am Ende für die Menschen am meisten herauskommt.

Damit bin ich am Ende meiner kleinen Einstimmung mit sieben Übungs-Impulsen zur Stärkung unserer geistlichen Resilienz in Zeiten der Veränderung. Und sie kommen auf diese Weise hoffentlich sogar noch ein wenig beschwingter und mit gestärkter geistliche Resilienz durch diesen denkwürdigen Tag.

Schließen möchte ich mit einem kleinen Gebet, das sich am Schwarzen Brett einer geistlichen Übungsleiterin oder eines geistlichen Übungsleiters befinden könnte:

Dreifaltig, vielfältig bist du, Gott! Lass mich nicht einfältig dahinter zurückbleiben.

Unterwegs durch die Geschichte bist du, Gott! Behüte mich davor, einfach irgendwann stehen zu bleiben.

Menschenfreundlich bist du, Gott! Warum meine ich immer wieder, ich müsse vor anderen Menschen auf der Hut sein?

Unbehaust bist du, Gott! Auch ich muss mich nicht ständig hinter Mauern in Sicherheit bringen.

Immer wieder erscheinst du mir neu und anders, Gott! Da kann die Welt um mich herum, doch nicht einfach die alte bleiben! Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.