Predigt über Lukas 13,29 im Gottesdienst zum Abschluss der Kirchendienerrüste am Mittwoch, 13. Juli 2022 im Hohenwart Forum

13.07.2022

Liebe Schwestern und Brüder!

Als Kind habe ich einmal einen Kompass geschenkt bekommen. Ich war damals sehr stolz. Sein leicht hüpfender Zeiger ging immer in Richtung Norden. Ich war mir sicher: Mit einem Kompass würde ich nie mehr in die Irre gehen.

Dabei habe ich heute noch immer Mühe mit den Himmelsrichtungen. Teile auf der Uhr den Abstand zwischen dem großen Zeiger, den ich auf die Sonne richte, und der 12. So finde ich den Süden. Mit dem Sonnenstand komme ich so einigermaßen hin mit den vier Himmelsrichtungen. Aber ich muss immer erst etwas nachdenken. Meine Frau erkennt die Himmelsrichtungen schneller und ohne lange zu überlegen.

Auch die Bibel zählt immer wieder die Himmelsrichtungen auf. Dann, wenn es darum geht, dass ganz unterschiedliche Menschen sich auf den Weg machen. Auf den Weg zum Tempel nach Jerusalem. Auf den Weg zum Stall in Bethlehem. Auf den Weg an den Tisch des Herrn.

„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes!“ Dieser Vers kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn ich an die Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Karlsruhe in wenigen Wochen denke. Buchstäblich aus allen Himmelsrichtungen machen sich da Menschen auf den Weg. Das wird uns hier guttun. In einer Kirche, die – aus der Sicht der weltweiten Ökumene - zu den Kirchen des reichen Nordens zählt. Und der jetzt dennoch viel an Geld wegbricht. So dass sie sich von vielem Liebgewordenen trennen muss. Sogar von Kirchengebäuden.

Über die vier Himmelsrichtungen aus dem Bibelvers möchte ich mit Ihnen etwas nachdenken. Jesus spricht davon, wer denn am Ende zum Fest geladen ist und wer nicht. Wer selig wird und wer nicht. Wer am Ende hinein darf und wer nicht. Dass dieser Mut machende Satz die vorausgehenden düsteren Verse abschließt, macht mir Hoffnung. Von überall her werden sie kommen. Von Norden und Süden. Von Westen und Osten. Also auch aus Baden!

Und wenn ich mir einen Globus vorstelle, dann kommt es immer auf die Perspektive an, was ich mit den Himmelsrichtungen verbinde. Von Skandinavien aus betrachtet, liegen sogar wir hier im Süden! Und von Südafrika aus betrachtet, liegt die Sahara im Norden.

Ein klein wenig will ich mich mit Ihnen jetzt auf eine biblische Spurensuche machen. Und die vier Himmelsrichtungen etwas in den Blick nehmen.

 

Der Osten
Der Osten ist die kirchliche Himmelsrichtung schlechthin. Fast alle alten Kirchen sind nach Osten hin ausgerichtet. Sind geostet, wie man sagt. Im Osten geht die Sonne auf. Orient meint Sonnenaufgang. Das Wort kommt vom lateinischen Wort oriri, d.h. sich erheben bzw. aufgehen. Der Orient – das ist die geheimnisvolle Welt im Osten. Märchenhaft. Voller Reichtum in unserer Phantasie. Wo die Bahn der Sonne ihren Ausgang nimmt, da ist die Welt noch in Ordnung. Da ist sie noch nicht verdorben. Vom Osten haben wir Gutes zu erwarten.

Und dann kommt da trotzdem eine bedrohliche Farbgebung dazu. Der Osten - die Richtung, aus der der Feind kommt. Als Kinder wurde uns das eingebläut. Der Ost-West-Konflikt stand dabei im Hintergrund. Der Osten, er ist tatsächlich auch die Himmelsrichtung des derzeitigen Krieges in der Ukraine. Obwohl das mit der Himmelsrichtung nichts zu tun hat.

Dass der Osten auch bedrohlich sein kann, das ist übrigens auch in der Bibel schon so. Aus dem Osten kamen die Winde, die Schiffe und Seeleute in Gefahr gebracht haben. Der Ursprung von Zauberei und Aberglauben – die Bibel vermutet ihn im Osten: „Sie sind voll von Wahrsagerei aus dem Osten!“ Bei Jesaja kann man diese Klage Gottes nachlesen.

Und trotzdem: Ohne den Osten, ohne diese Himmelsrichtung geht gar nichts. Aus dem Osten steigt nicht nur die Sonne empor. Aus dem Osten sehen die Sterndeuter den besonderen Stern, der ihnen den Weg zum Kind in der Krippe weist.

Der Osten – er ist der Ursprungsort des Lebens. Im Osten pflanzt Gott, der Herr, einen Garten. Den Garten Eden. In diesem Garten nimmt alles Leben seinen Anfang.

Blicken wir also gnädig und dankbar in den Osten. An den Garten allen Lebens, in dem alles angefangen hat.

 

Der Westen
Schauen wir jetzt weiter in die Gegenrichtung. Nach Westen. In den Okzident. Occidere heißt abschneiden, töten. Der Gang der Sonne wird im Westen zu Ende gebracht. Dort, wo die Sonne untergeht. „Soweit der Morgen ist vom Abend“, heißt es in der Bibel – „soweit Osten und Westen voneinander entfernt liegen – schiebt Gott unser Verfehlen von sich weg!“

Der Westen ist da, von wo so häufig der Regen kommt. „Wenn ihr eine Wolke aufsteigen seht im Westen, wisst ihr: Es kommt Regen!“ Jesus sagt das einmal.

Der Westen – politisch sind das eigentlich wir. Das Gegenüber zum Osten, wenn’s um die politische Einteilung der Welt geht. Der freie Westen hieß es früher. Und heute manchmal auch noch. Schon die Eroberer Nordamerikas machten sich mit ihrem Treck in den Westen auf. Westwärts. Dort vermutete man die Zukunft. Dort gab es Land.

In der Bibel ist der Blick nach Westen der Blick ins Mittelmeer. „Bis zum großen Meer im Westen soll euer Gebiet reichen!“ So sagt es Gott zu Josua. Tatsächlich meint der Westen die Weite. Die Freiheit. Aber auch ein Gebiet voller Risiko. Wirklich bedeutsam ist der Westen aber nicht. Zumindest biblisch ist er vor allem der Gegensatz zum attraktiven Osten.

 

Der Süden
Aus dem Süden unserer Landeskirche kommen die meisten von Ihnen hierher nach Hohenwart. Die im Süden haben’s gut! Bei uns ist der Süden die Urlaubsrichtung schlechthin. Im Süden ist es warm. Dort wächst köstlicher Wein. Dort leben die Menschen noch ganz anders als hier bei uns. Im Süden gibt es über Mittag Siesta. Im Süden kann man fünf grade sein lassen. Im Markgräfler Land liegt die badische Toscana, heißt es. Der Süden, das ist Italien und Spanien. Das ist Casa Blanca und Veneto. Das ist Erholung und Entspannung.

Biblisch ist der Süden die Landschaft, die die Menschen Negev nennen. Wie die große Wüste im Süden in Israel bis heute heißt. Karge Wüstenlandschaft. Unbekanntes, unwirtliches Land. Der Horizont ist so hell wie sonst keiner. Aber die Landschaft dunkel und bedrohlich.

Im Tageslauf der Sonne markiert der Süden den Mittag. Im Süden steht die Sonne am höchsten. Von dort kommt die heiße Mittagshitze, die die Menschen lähmt und außer Gefecht setzt: „Wenn die Winde von Süden wehen, kommt die Gluthitze.“ Auch Jesus hat das gewusst. Die anderen Menschen wussten das auch.

Das Ziel ihrer Träume ist der Süden für die Menschen in biblischer Zeit nicht. Wenn es geht, hält man sich von ihm fern. Etwas davon schwingt auch bei uns noch nach. Wir teilen die Erde auf in eine nördliche und eine südliche Halbkugel. Im Süden lebts sich‘s nicht so komfortabel. Im Nord-Süd-Konflikt rückt der Süden als der ärmere Teil der Welt in den Blick. Gut, wenn man dort nicht leben muss, denken wir vielleicht. Aber die Armut der einen und der Reichtum der anderen, unser Reichtum, haben miteinander zu tun. Hängen zusammen. Das dürfen wir nie vergessen.

 

Der Norden
Bleibt der Norden! Auch wenn der Kompass immer diese Richtung wählt und der Polarstern im Norden als einziger Stern scheinbar festzustehen scheint – der Norden ist die unattraktivste aller Himmelsrichtungen. Der kühle, kalte Norden. Die Himmelsrichtung, in der die Sonne nie zu sehen ist. „Im Norden ist sie nie zu seh‘n!“, heißt es im Sprichwort. Aus dem Norden ergießen sich die Feinde wie ein überkochender Grießbrei über das Land. Bei Jeremia lesen wir das so. „Von Norden habe ich einen kommen lassen“, sagt Gott, „der die Gewaltigen zerstampft wie Lehm.“ Die Babylonier und die Assyrer kamen eben aus dem Norden.

Viel Gutes hören wir über den Norden nicht. Bei uns ist der Norden der Teil der Welt, der im Reichtum lebt und Mühe hat mit dem Teilen. Die nördliche Halbkugel – sie steht für Gier und Machtstreben. Dass aus dem Norden, aus Galiläa, nichts Gutes kommt, wissen die Menschen zur Zeit Jesu schon aus alten Tagen.

Und nur ganz selten erfährt der Norden in der Bibel nicht nur eine negative Wertschätzung. Am Schönsten vielleicht: „Von Norden her überkommt uns ein goldener Schein!“ Immerhin! Ganz aussortiert ist der Norden nicht.

In dem Wort Jesu, über das wir nachdenken, wird der Norden genauso genannt wie Süden, Osten und Westen. Wie ein Kreuz legen sich die Verbindungswege von jeweils zwei Himmelsrichtungen über die Welt. Alle sind eingeladen. Alle nehmen die Einladung an. Alle sind sie darauf angewiesen, an den Tisch Gottes in dieser Welt eingeladen zu werden.

Die Machthungrigen aus dem Norden. Die aus dem bedrohlich heißen Südland. Die aus der Weite des Westens. Und vor allem, die, die direkt aus dem Osten, aus dem Paradies den Weg zu uns finden. Alle sitzen sie zu Tisch im Reich Gottes. Alle feiern sie das Mahl der Freude und des vorweggenommenen Reiches der Himmel. So wie wir jetzt miteinander Abendmahl feiern. Und in wenigen Wochen in Karlsruhe.

Alle sind eingeladen. Darum freut euch: Wir sind Gottes Volk. Amen.

 

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.