Predigt über Römer 6,3-8 im Gottesdienst mit Orgeleinweihung am Sonntag, 24. Juli 2022 (6. S. nach Trinitatis) in der evangelischen Kirche in Merchingen

24.07.2022

Liebe Festgemeinde!

Da hat sie jetzt also festlich erklingen dürfen, Ihre neue Rensch-Orgel. Was für ein wunderbarer Klang! Was für ein schönes Gefühl! Was für ein Grund, dankbar zu feiern! Dankbar gegenüber all denen, die das möglich gemacht haben. Der Leader-Aktionsgruppe Badisch-Franken und ihrem Förderprogramm. Den Spenderinnen und Spendern. Den Orgelbauern der Firma Rensch. Ihren Kirchengemeinderäten und Ihrem Pfarrer. Dankbar aber vor allem und noch viel mehr gegenüber Gott, der Ihrem menschlichen Wollen und Tun seinen Segen nicht versagt hat.

Dankbar bin auch ich, dass ich heute bei Ihnen sein und mit Ihnen feiern darf. Von Herzen gratuliere ich Ihnen zu Ihrem neuen Instrument. Ihrer neuen Orgel. Persönlich tue ich das. Und im Namen der Landeskirche. Wie schön, dass wir heute aus diesem Anlass miteinander feiern dürfen.

Es gibt sie also doch noch! Die kleinen und großen Wunder. Mitten im Alltag. Und mitten im Leben. Und so kann von diesem Orgelweihfest womöglich ein Aufbruch ausgehen, noch einmal neu miteinander unterwegs zu sein. Als Gemeinde vor Ort hier in Merchingen. Und in unserer Kirche überhaupt. Wir brauchen solche Zeichen und Wunder, um zu sehen: Mitten im alten Trott, mitten im Auf und Ab unseres Lebens brechen neue Zeiten an. 

Die Zeitenwende! Das ist einer der Schlüsselbegriffe unserer Tage! Der Bundeskanzler hat ihn benutzt. In der Bundestagsdebatte, drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Seitdem wird der Begriff überall verwendet und strapaziert. Und allenthalben werden mit einem Mal neue Zeitenwenden entdeckt. In der Politik, wo plötzlich alles auf dem Prüfstand steht. Bei der Energieversorgung. In der Medizin beim Umgang mit der Pandemie. In der Wissenschaft überhaupt. Zeitenwende auch in den Kirchen, die unaufhörlich Mitglieder verlieren und in großer Sorge sind um ihre Zukunft.

Heute also eine kleine Zeitenwende in der Kirche hier in Merchingen. Neue, gewaltig rauschende Orgelklänge, die den eher verhaltenen Klang der alten Orgel ablösen. Kein Zweifel, wenn in einer Kirche ein neues Mitglied aus der Familie der Königin der Instrumente erklingt, ist das auch eine Zeitenwende. Zum einen, weil ein neues Instrument ein altes ersetzt. Zum anderen - und das ist genauso wichtig – weil hier ein unübersehbares und vor allem unüberhörbares Signal des Aufbruchs gesetzt wird. In der Kirche geht’s mitnichten nur bergab. In der Kirche geht’s bergauf. Neues entsteht. Neues erklingt. Bisher noch nicht Gehörtes wird vernehmbar. Unerhörtes geschieht. Fast schon ein Wunder. Wunder sind längst noch nicht aus der Welt.

Wie ein Wunder, ja – wirklich wie eine Zeitenwende muss es den Christinnen und Christen in den Anfängen der Kirche vorgekommen sein, als sie das Zeichen der Taufe an sich erfahren haben. Wie ein passgenauer Impfstoff gegen ihr bisheriges Leben, dem sie doch öffentlich sichtbar den Abschied geben wollten. Die Taufe – wie eine sogar körperlich spürbare Zusage, dass in ihrem Leben eine Zeitenwende eigesetzt hat. Als eine Zeitenwende haben die Menschen damals ihre Taufe wirklich erlebt – viel grundsätzlicher als alle Formen einer Zeitenwende, die wir derzeit im Blick haben.

Im Predigttext für diesen 6. Sonntag nach Trinitatis findet Paulus Worte für diese Zeitenwende. Klare, ja drastische Worte. Weil’s für ihn um Leben und Tod geht. In seinem Brief nach Rom schreibt Paulus über die Zeitenwende der Taufe:

Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm zusammengewachsen sind, ihm gleich geworden in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, sodass wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.

Um Abschied und Neuanfang geht’s also in dieser Zeitenwende. Um Freiheit und ums Zusammenwachsen. Ja sogar um Leben und Tod.  Eine Zeitenwende, das ist also nicht nur ein Spurwechsel im Leben. Das ist nicht nur ein mit der Mode gehen. Nicht nur der Versuch, es halt einmal mit etwas Neuem zu probieren. Kein Weiter so – mitten im Alten und mit etwas anderen Farbgebungen.

Nein, bei der Zeitenwende geht’s um einen ganz grundsätzlichen Neuanfang. Um ein Zurück auf Los und einen radikalen Neustart. Da beginnt mit einem Mal eine neue Zeit. Gerade deshalb sollten wir mit diesem Begriff sehr sparsam umgehen. Eine politische Krise beschreibt nicht einfach gleich eine Zeitenwende. Und wenn die Zeichen der militärischen Aggression eine Zeitenwende beschreiben, dann hat auch diese neue, böse Zeit doch längst schon vor dem 24. Februar begonnen. Da müssen wir nur einmal die Menschen in Syrien, im Jemen und in Afghanistan fragen. Biblisch gesprochen begann die böse Zeit sogar schon mit dem Mord Kains an seinem Bruder Abel.

Aber genauso lange gibt es immer auch schon die gute, hoffnungsvolle, neue Zeit. Die Zeit des Endes der großen Flut unter Gottes Regenbogen. Die Zeit der Gerechtigkeit für die Habenichtse, die die Propheten ein ums andere Mal ankündigen. Die Zeit der Hoffnung auf Frieden – mitten im Krieg. Die gute Zeit, die Jesus in der Bergpredigt ankündigt, wenn er uns die Konsequenzen des Glaubens an Gott vor Augen hält. Wenn er uns auffordert zu entscheiden, ob wir unser Licht verborgen unter einem Eimer leuchten lassen wollen – oder gut sichtbar wie die Stadt auf dem Berg oder ein Licht, das niemand übersehen kann.

Es geht nun aber nicht so, dass die eine böse Zeit die andere, gute einfach ablöst. Oder die gute Zeit die böse. Beide Zeiten laufen nebeneinander her. Aber ich kann mein Leben eher von der einen oder eher von der anderen Zeit her verstehen und deuten. Nicht die Zeit wendet sich also. Mein Leben wendet sich. Und die Kräfte, die über mein Leben bestimmen.

Genauso versteht Paulus die Taufe. Es geht um einen Machtwechsel. Einen Machtwechsel im Blick auf mein Leben. Ich verstehe mich nicht mehr aus meiner Vergangenheit, sondern aus meiner Zukunft. Ich lasse mich nicht mehr von den Mächten des Todes bestimmen, sondern von der Hoffnung auf Auferstehung. Ich vertraue nicht mehr den alten Mächten. Sondern einem neuen Herrn. Setze in Zukunft alles auf Gott. Und baue nicht mehr auf Sand.

Wir wissen, diese Zeitenwende funktioniert nicht einfach so, wie wenn man einen Schalter umlegt. Sie ist eine lebenslange Aufgabe, die mich immer neu herausfordert. Und an der ich immer neu scheitern kann. Die mich aber auch immer wieder neu in die Freiheit führt. Deshalb gehört zur Taufe die Tauferinnerung. Die täglich neue Umkehr. Buße hat Luther das genannt. Buße - Luther nennt sie die tägliche Rückkehr zur Taufe.

Die Orgel kann dafür ein schönes Gleichnis sein. Ihre Pfeifen müssen immer wieder neu gestimmt werden. Und immer wieder geht’s auch darum, ihr gesamtes Innenleben zu warten und zu überholen, wenn wir auf Dauer Freude an ihr haben wollen. Dabei hat uns die Orgel aber auch etwas voraus. Wenn’s denn gar nicht mehr passt, kann man sie einfach durch ein neues Instrument ersetzen. So wie bei Ihnen hier. Das ist dann gewissermaßen eine Art Organtransplantation im Leib des Kirchengebäudes.

Ich selber muss weiter mit meinem alten Adam leben. Und Sie alle hier genauso. Der alte Adam und die alte Eva lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen. Aber wir können die Herrschaft über sie zurückgewinnen, Oder sie gleich einem anderen übergeben. Und das sichtbare Zeichen, das damit verbunden ist, das ist – so schreibt es Paulus - eben die Taufe. Und der Ort der Taufe, das ist die Kirche.

Menschen dazu zu verlocken, sich auf diesen Weg einzulassen, den Umstieg aus der alten in die neue Zeit zu wagen, daran ist uns als Kirche gelegen. Ihre neue Orgel ist dafür eine wichtige Hilfe. Nicht nur in den Gottesdiensten kommt sie zum Einsatz. Nicht nur in Liturgie und Liedbegleitung. In Vorspiel und Nachspiel.

Sie kann auch in Konzerten diese Kirche mit ihrem Klang erfüllen. Und Menschen verlocken, ihren Tönen zuzuhören. Gut, dass es Menschen gibt wie Ihren Bezirkskantor, Herrn Park. Er versteht es, mit Händen und Füßen diese Orgel zum klangvollen Strahlen zu bringen. Auf den beiden Manualen mit den neuen Registern. Und unten im Pedal. Gerade das Spiel im Pedal mit den Beinen nötigt mir immer neue Bewunderung ab, lieber Herr Park!

Es gibt ja böse Zungen, die sagen: Die Orgel ist ein Beispiel dafür, dass Gott auch mit lauter Pfeifen etwas Gutes bewirken kann. So will ich es nicht sehen. Aber wie aus lauter unterschiedlichen Tönen ein Klang entstehen kann, der zu Herzen geht, das ist schon so ein schönes Gleichnis für eine Gemeinde.

Und die Taufe markiert dann den Ort, an dem entschieden wird, ob ein Wohlklang oder ein Missklang aus diesen vielen Tönen entsteht. Es braucht dazu aber auch den einen, der die Töne überhaupt zum Klingen bringt. Es braucht Gott, der aus den vielen kleinen Zeitenwenden von Menschen die eine große Zeitenwende für die Welt entstehen lässt.

Dies feiern wir heute mit der Indienstnahme, mit der Einweihung Ihrer neuen Orgel! Die große Zeitenwende unseres Lebens – die hat Gott längst für uns alle möglich gemacht. In der Taufe bekommen wir daran Anteil. Und im Singen der Lieder und im Vielklang der Töne dieser Königin der Instrumente erhalten wir schon einen Vorgeschmack der neuen Welt Gottes.

Hegen und pflegen sollt Ihr sie, diese neue Orgel. Und ihr Spiel hören. Dazu müsst Ihr euch nur immer wieder in diese Kirche aufmachen. Und dabei zugleich auch eure Taufe ernstnehmen. Zu Herzen gehen sollen euch diese Töne. Und die Lieder, die ihr singt. Und der Klang der Orgel-Pfeifen, die ihr hört. Was wäre das für eine Zeitenwende! In Merchingen. In Ravenstein. Hier im Kirchenbezirk. Und wo auch immer. Gottes Zeitenwende für uns. Und unsere Zeitenwende für die Welt. Manchmal genügt schon eine Orgel dazu. Das lasst uns feiern. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.