SWR 2 Wort zum Tag am 11. Dezember 2023
Titel: Der Mensch im Zentrum
Für heute Abend habe ich Freunde eingeladen. Wir feiern das Ökumenische Hausgebet im Advent. Jedes Jahr bringt die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Baden-Württemberg dazu eine Vorlage heraus. Neben Texten und Liedern immer auch ein Bild. In diesem Jahr stammt das Bild von dem tschechischen Künstler Tomas Smetana. Ein Weihnachtsbild - auf den ersten Blick nicht anders als viele Weihnachtsbilder. Alle, auf die es ankommt, sind mit dabei. Maria und Josef. Einer der sternenkundigen Könige aus dem Osten. Natürlich Ochs und Esel. Doch beim zweiten Hinsehen fällt etwas Besonderes auf. In der Mitte – da wo sonst die Krippe mit dem Kind hingehört, ist - nichts. In der Weihnachtsszene fehlt die Krippe. „Das Bild ist einfach nicht fertig geworden“, erklärt Tomas Smetana diese besondere Bildkomposition.
Nicht fertig werden. Ich kenne dieses Gefühl. Die Liste mit den Aufgaben ist lang. Und ich überfordere mich schnell. Zu vieles habe ich mir vorgenommen. Und es bleibt immer noch etwas übrig. Gerade im Advent.
Weil da etwas fehlt. Mit dem Künstler gesprochen: Weil die Krippe fehlt. Die Mitte, auf die ich mich ausrichten könnte. Stattdessen drängen sich andere Dinge nach vorn. Das ganze Weihnachts“volk“ ist da. Wie auf dem Bild. Die Familie. Freundinnen und Freunde. Nachbarn. Kolleginnen und Kollegen. Irgendwie haben sie alle ein Anrecht, im Blick zu sein. Durch eine Begegnung. Eine Einladung. Eine Weihnachtskarte. Aber vieles müsste gar nicht jetzt sein. Da schieben sich von außen Erwartungen in mein Leben. Und ich kann ihnen gar nicht gerecht werden. Weil ich erst klären muss, was für mich im Zentrum steht.
Das leere Feld mitten im Bild – es übermittelt mir auch eine Botschaft. Es kommt mir vor wie eine Bühne. Da fehlt nicht einfach nur etwas. Diese offene, leere Fläche bietet mir auch einen Gestaltungsraum. Ich könnte auch sagen: Da habe ich die künstlerische Freiheit, mein Leben zu leben. Hier könnte mein Zugang ins große Geschehen der Weihnacht liegen. Der Prophet Jesaja schreibt einmal „Sogar ein Ochse weiß, was für ihn wichtig ist. Und ein Esel, wo er seinen Platz findet.“ (Jesaja 1,3) Mir bleiben noch knapp zwei Wochen, um mich zu entscheiden, was ich dieses Jahr diese weihnachtliche Bühne nutze. Was sich dort abspielen soll. In der Krippe, die auf dem Bild fehlt, liegt: ein Mensch. Gott hatte die Idee, den Menschen ins Zentrum zu rücken. Daran möchte ich mich orientieren.