Predigt über Jesaja 55,(6.7)8-12a im Gottesdienst am 12. Februar 2023 (Sexagesimae) im Evangelischen Gemeindezentrum in Ettlingen-Bruchhausen

12.02.2023

Liebe Gemeinde!

Es ist immer bewegend zurückzukommen. Das ist auch heute so. Gleichsam auf der Zielgeraden noch einmal back to the roots. Zurück zu den Wurzeln. Den beruflichen in meiner Pfarrerlaufbahn jedenfalls. Darum freue ich mich, dass Pfarrerin Wolf sich ganz unkompliziert auf diese Idee eingelassen und der Ältestenkreis sie nicht davon abgebracht hat. Wie schön, dass Sie also die richtigen Berater hatten.

Wer heute in der Welt Verantwortung trägt, hat einen Berater. Manchmal gleich ein ganzes Team. Politikerinnen und Politiker. Firmen sowieso. Aber auch Privatleute, die ihr Vermögen anlegen wollen. Und abends in den Nachrichten erklären uns Mitarbeiter von irgendwelchen Finanzkonsortien dann die Kurve des Dax und den Stand der Aktien.

Auch Gott hat viele Beraterinnen und Berater! Eigentlich so viele, wie Menschen auf dieser Erde unterwegs sind. Sie und ich – wir gehören alle dazu. Denn meistens wissen wir doch sehr gut, wie wir uns den Gang der Welt so vorstellen. Und Gott müsste nur unser Seufzen und nachher unsere Fürbitten hören, dann wüsste er, welche Ratschläge wir ihm gerne geben und wozu wir ihm raten würden.

Endlich ein Ende dieses unsäglichen Krieges in der Ukraine.

Keine Erdbeben mehr. Schon gar keine solchen wie am Anfang dieser Woche in der Türkei und in Syrien. Auch keine Flutkatastrophen, die immer wieder unzählige Menschen in den Tod reißen.

Keine Verbrechen mehr. Und keine Gewalt. Keine Armut und keine Ungerechtigkeit.

Keine weitere Beschädigung unserer Umwelt. Kein Artensterben. Und ein erfolgreicher Stopp der Klimaerwärmung.

Und dann doch bitte auch keine tödlichen Krankheiten. Kein vorschneller, bitterer Tod.

In unseren Alltagsgesprächen teilen wir einander all das mit, was uns beschäftigt und was uns Sorgen macht. Am Mittagstisch. Im Kollegenkreis. In unseren Gebeten bringen wir das alles vor Gott. Wenn Gott denn die Fürbittgebete in unseren Gottesdiensten hört und die vielen Stoßgebete dazu – er müsste dann doch wirklich wissen, wie er die Welt besser machen könnte. Deshalb stimmt es wirklich, wenn ich sage: Gott hat viele Beraterinnen und Berater.

Nur: Die Welt dreht sich nicht nach unserem Willen. Nach meinem nicht. Und nach Ihrem vermutlich doch auch nicht. Was geht in Gott vor?, frage ich mich. Warum lässt er denn alles laufen? Merkt Gott denn, was in uns so alles vorgeht? Was für Gedanken wir uns machen?

Genau mit dieser Frage beschäftigt sich der Predigttext für den heutigen Sonntag. Und ehrlich gesagt, es ist eine der zentralen Fragen unseres Glaubens. Und eines der zentralen Themen der Theologie. Warum lässt Gott die Welt ihren schrecklichen Gang gehen? Immer wieder. Zum Glück nicht immer.

Der Predigttext steht im Jesajabuch im 55. Kapitel. Da heißt es:

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.

Liebe Gemeinde! Ganz schön harsch und brüskierend, wie der Prophet da im Auftrag Gottes mit den Menschen redet. Der Prophet ist nicht Jesaja. Der hat ja schon im achten Jahrhundert vor Christus gelebt. Aber ab dem 40. Kapitel spricht im Jesajabuch ein Prophet, über dessen Person wir viel weniger wissen als über Jesaja selber. Man nennt ihn, weil wir den Namen nicht kennen, einfach den zweiten Jesaja.

Immerhin kennen wir seine Botschaft. Er bringt sie in der Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Christus an den Mann und die Frau, genauer gesagt an die Israeliten. Nicht an alle, sondern an die, die Nebukadnezar nach Babylon verschleppt hat. Handwerker und Priester. Menschen aus der Oberschicht.

Dieser unbekannte Prophet hat gute Nachrichten: „Die Zeit im Exil geht bald zu Ende. Ein anderer König, der Perserkönig Kyros wird die Verschleppten nach Hause ziehen lassen!“ Aber trotz aller Freude fragen sich die Menschen zweierlei: Erstens: „Warum hat das sein müssen?“ Und zweitens: „Wird es am Ende auch wirklich so kommen, wie der Prophet es ankündigt?“

Gott scheint, so klingt es, ungehalten. Aber auf beide Fragen gibt es dennoch eine Antwort. Warum also hat das sein müssen? Als pädagogisch geschickt erweist sich Gott hier nicht wirklich. Er weist, so scheint es, die Frage zurück. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege. Sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

Gerade so klingt das, als wenn Gott sagen wollte: „Das versteht ihr ja doch nicht!“ Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass Gott so redet! Ich höre da eher den Propheten heraus, der hier in göttlichem Auftrag das Wort ergreift. Was er sagt, ist ja richtig. Und sicher im Sinne Gottes. Aber der Ton, den er anschlägt, ist eher ein anderer, ein wahrhaft eher nicht Gott gemäßer.

Recht hat er allerdings schon. Unser Handeln, unsere Ratschläge, die wir Gott geben, binden Gott in keiner Weise. Seine Gedanken sind eben nicht unsere Gedanken. Und dass der Friede Gottes höher ist als all unsere Vernunft, das hören wir doch in jedem Gottesdienst. Gottes Wege sind dann halt oft nicht die, die wir gerne gehen würden.

Nur: Es greift auch zu kurz, dass wir Gott in die Schuhe schieben, was eigentlich in unserer Verantwortung liegt. All das, was ich eingangs aufgezählt habe – all das, was Menschen zu schaffen macht, ist am Ende vor allem eins: von Menschen gemacht. Das sind überhaupt nicht Gottes Wege, die uns da so zu schaffen machen. Diese Wege haben wir doch in aller Regel selber eingeschlagen. Sicher nicht jede oder jeder von uns. Aber allemal sind Menschen die Urheber.

Deshalb ist es gut, dass der Prophet im Auftrag Gottes auch die zweite Frage beantwortet. „Kommt denn am Ende auch wirklich alles so, wie’s der Prophet ankündigt?“ Die Antwort lässt hoffen. Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Es wird so kommen! Am Ende wird alles gut! Die Verschleppten werden zurückkehren. Und sie tun es dann auch tatsächlich. Auch wenn dann immer noch nicht alle Schwierigkeiten aus der Welt geschaffen sind. Aber dazu gibt’s bei Jesaja ab Kapitel 56 Weiteres zu lesen. Dort meldet sich ein weiterer Prophet zu Wort. Einer, der auf die schon erfolgte Heimkehr zurückschauen kann. Man nennt ihn den dritten Jesaja.

Aber noch einmal zurück zum Zweiten. Er wählt ein schönes Bild aus der Lebenswelt derer, die ihm zuhören. Der Regen fällt doch nicht vergeblich auf die vertrockneten Äcker. Er macht sie feucht und fruchtbar. In einer Region, in der der Regen zweimal im Jahr die ausgetrocknete Erde überschwemmt und den Boden so wieder fruchtbar macht, verstehen die Menschen, wovon der Prophet spricht. So, sagt er, ist es auch mit dem, was ich euch im Auftrag Gottes sage. Gottes Worte verändern die Welt. Weil sie bei euch auf guten Boden fallen.

Schön, dass es damals so war, denke ich. Aber all das, was unser Leben beschwert, es ist nach wie vor nicht aus der Welt. All das Böse, das die Welt immer neu an den Rand des Abgrunds treibt, hält uns bis heute in Atem. Da müssten noch viele der Worte Gottes wie Regen auf diese Erde fallen. Anders gesagt, da könnte Gott noch viele gute Beraterinnen und Berater brauchen, die ihm Vorschläge machten, wie’s besser werden könnte.

Spannend ist: Gott dreht den Spieß um. Betätigt sich selbst als Berater der Menschen. Ein ums andere Mal. Am Beginn des Predigttextes stehen zwei Sätze, die wir vorhin noch nicht gehört haben. Ratschläge, die Gottes Beratungsprojekt zugunsten von uns Menschen entspringen. Da heißt es:

Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.

Ganz klar wird benannt, woher die Übel rühren: Der Gottlose soll umkehren. Wer Übles im Sinn hat, erneure sein Denken. Umkehr – das ist der Ratschlag des himmlischen Beraters. Umkehr im Denken. Und Umkehr im Handeln. Wenn’s nur so einfach wäre!

Um umzukehren, brauche ich ein Zweifaches: Ich muss einsehen, dass ich in die falsche Richtung unterwegs bin. Und ich muss wissen, wohin ich umkehren will. Ansonsten gehe ich womöglich erneut in die Irre.

Interessant, dass der Prophet die Umkehr an ein Zeitfenster knüpft. „Sucht den Herrn, solange er zu finden ist.“ Das passt nicht so ganz zusammen mit dem Bild des immer gütigen Gottes. Und es beißt sich mit unserer Hoffnung, es sei nie zu spät, das Ruder herumzureißen.

Beim Erdbeben in der vergangenen Woche war das die immer mitlaufende schreckliche Botschaft. Das Zeitfenster für die Rettung wird immer enger. Und die Rettungsteams versuchten alles, in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit so viele Menschen wie möglich aus dem Trümmerhaufen zusammengestützter Häuser zu bergen.

Bei Gott ist das nicht so, das glaube ich. Es ist Ausdruck meines Gottvertrauens, dass die Umkehr zurück in ein sinnerfülltes Leben immer möglich ist. Aber die Lebenserfahrung lehrt mich auch: Ich kann den Zeitpunkt für bestimmte Entscheidungen im Leben tatsächlich auch verpassen. Manchmal ist es wirklich zu spät. Manchmal übrigens auch noch zu früh. Aber es ist die Zeit für mein Handeln. Nicht für die Bereitschaft Gottes, sich finden zu lassen.

Dass ich zu spät dran bin - bei der Klärung persönlicher Konflikte kann das so sein. Beim Aufbau neuer Beziehungen.  Bei der Entscheidung, in meinem Leben etwas Grundsätzliches zu ändern.

Übrigens gilt das auch für die große Politik. Bei diesem unsäglichen Krieg in der Ukraine, der uns allen wie eine Last auf der Seele liegt, geht mir diese Sorge nicht aus dem Kopf. Hoffentlich verpassen wir den Zeitpunkt nicht, zu dem eine Wendung zu einem Waffenstillstand noch möglich ist. Damit wir nicht in eine immer größere Auseinandersetzung hineinschlittern. Natürlich weiß ich auch, dass das vor allem an einem anderen liegt, nämlich am Urheber dieses Krieges. Aber etwas mehr als die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen sollte uns schon einfallen. Gerade uns als Kirchen! Der Friede muss gewagt und hart erarbeitet sein. Auch hier gilt: „Suchet den Herrn, suchet den Frieden, solange er zu finden ist!“

Hier wäre es in der Tat besser, es wären nicht wir, die Gott beraten. Sondern wir würden Gott zu unserem Berater machen. Was in Gottes Beratungskonzept steht – es würde uns nicht überraschen! Am Leben des Jesus aus Nazareth ließe es sich ablesen.

Frieden stiften. Und das Leben der Menschen heil machen.

Auch diejenigen im Blick haben, die uns Mühe machen und die wir so gerne ausgrenzen.

Wahrnehmen, dass Nächstenliebe und Feindesliebe zusammengehören.

Die Spuren des Reiches Gottes in unserem Leben entdecken. Und dem Bösen mutig widerstehen.

Es gibt Menschen, die sind mir hier ein leuchtendes Vorbild. Aber es gibt nicht nur die Großen und die mit einer guten Presse. Das meiste Gute geschieht im Verborgenen. Von Menschen, deren Namen fast keiner kennt. Ich muss nur an die zahllosen Helfer denken, die sich immer wieder bereitfinden, die Folgen von Katastrophen und Krisen zumindest abzumildern. In der Hoch-Zeit der Geflüchtetenkrise war das so. Bei der Flutkatastrophe an der Aar. Und jetzt auch wieder bei dem schrecklichen Erdbeben in der Türkei und in Syrien.

Das meiste Gute geschieht, wenn Menschen sich anrühren lassen von der Not anderer. Das meiste Gute geschieht, wenn ich in meiner kleinen Welt damit beginne. Und immer werden sich Menschen finden, die sich mit auf den Weg machen. Gottseidank!

Voller Hoffnung bin ich, dass diese Welt nicht dem Untergang preisgegeben ist.

Dankbar bin ich, dass die Saat des Guten aufgeht.

Gewiss bin ich, dass Gott gute Gedanken über diese Welt hat. Und dass Gottes Denken und Handeln das meinige verwandelt und zu einem guten Ende bringt. „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

In diesen Sätzen kann ich mich bergen. Und mit ihrer Zusage kann ich mich weiter auf den Weg machen. Und manchmal – manchmal wird Gott am Ende sogar unseren Rat annehmen. Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat, Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, liest und schreibt gern.