Ansprache über Johannes 20,18 im Gottesdienst zur Verabschiedung von NEK

17.09.2023

Liebe Gemeinde,
liebe N.!

Da passt heute wirklich alles zusammen! Deine Verabschiedung und der Frauensonntag. Der Sonntag und die Gemeinde, die hier mit dir feiert. Dazu noch das schöne Wetter obendrein.

Natürlich passt zu dir und zu deiner Verabschiedung auf die Frau, um die es eben schon einmal gegangen ist: Maria Magdalena! Und all die anderen Frauen, von denen wir eben schon gehört haben. Nicht vorzustellen, die Frauen hätten in der Kirche das Schweigen bewahrt!

Es passt auch sehr gut, liebe Nicola, dass du mir den Text mit Maria Magdalena zugespielt hast. Maria Magdalena ist mir sehr nah. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das ökumenische Kirchenzentrum, in dessen unmittelbarer Nähe ich wohne, ihren Namen trägt. Und wir erst vor wenigen Wochen wieder das jährliche Maria-Magdalena-Fest gefeiert haben.

Ohne Maria Magdalena – da bin ich mir sicher - sähe die Kirche ganz anders aus. Und mit etwas mehr Maria Magdalena könnten wir sie auch heute weiter verändern. Dass du dein ganzes Berufsleben lang als Frau im Pfarramt arbeiten konntest, du hast es in gewissem Sinn auch Maria Magdalena zu verdanken. Stellt euch vor, die Frauen hätten in der Kirche das Schweigen bewahrt!

Dabei wissen wir gar nicht so viel von ihr. Jesus hat sie von einer Besessenheit geheilt. Aber ob Maria wirklich auch die Frau ist, die Jesus die Füße salbt – ob sie die Schwester der Martha und des Lazarus ist, wie manche annehmen – es muss letztlich offenbleiben. Nicht einmal bei der Erklärung ihres Namens können wir sicher sein. Maria Magdalena, Mar aus Magdala nennt man sie, so heißt es, weil sie aus dem Dörfchen Migdal stammt. Diesen Ort kann man auch besuchen und die spannenden Ausgrabungen besichtigen. Aber der älteste Nachweis dieses Ortsnamens stammt aus den 6. Jahrhundert. Ob der Ort schon zu Lebzeiten von Jesus und Maria so geheißen hat, das wissen wir nicht.

Einige Forscherinnen schlagen eine andere Erklärung vor. Magdalene, wie es im Griechischen heißt, das sei keine Ortsangabe, sondern ein Ehrentitel. Maria Magdalene hieße dann Maria, die Erhabene oder auch Maria, der Turm.

Als Turm sei das gewissermaßen das entsprechende Gegenüber zu einer anderen männlichen Zentralfigur der Bewegung um Jesus aus Nazareth. Nämlich zu Simon Petrus - Simon, der Fels. Dann hätte die erste Kirche also zwei Leitungspersonen gehabt – eben: Simon der Fels und Maria der Turm. Wie gesagt, wir wissen es nicht genau. Aber ein Turm war Maria Magdalena in ihrer Bedeutung schon. Und ihren Glauben hat sie unüberhörbar zur Sprache gebracht. Unvorstellbar, die Frauen hätten in der Kirche das Schweigen bewahrt!

Sogar ein Evangelium trägt ihren Namen, das Evangelium nach Maria - freilich eines, das nicht unter die Schriften des Neuen Testaments aufgenommen worden ist. Der Text stammt aus dem zweiten Jahrhundert n. Chr. ist ungefähr so alt, wie das Johannes-Evangelium. Spannend zu lesen, wie Simon der Fels in diesem Evangelium außer sich gerät. Und über Maria herzieht: „Hat Jesus zu Maria Dinge gesagt, die er uns vorenthalten hat? Zu ihr, einer Frau? Das kann doch gar nicht sein!“

Ein anderer Jünger, Levi, hat den Mut, Petrus zu widersprechen: „Petrus, schon immer bist du jähzornig“, hält er ihm entgegen. „Wenn der Erlöser sie aber für würdig gehalten hat, wer bist dann du, sie zu verwerfen?“

Wir müssen uns aber gar nicht weiter in dem Evangelium der Maria auf die Suche machen. Im Johannes-Evangelium wird berichtet, wie sich Maria auf die Suche nach Jesus macht. Das Grab hatte sie leer vorgefunden. Da begegnet ihr Jesus im Park. Maria hält ihn für den Gärtner.  Womöglich war Jesus tatsächlich der Gärtner, wie mir ein orthodoxer Theologe vor einiger Zeit zu erklären versucht hat. Weil uns Jesus in immer neuen Personen begegnet.

Wie dem auch sei – der auferstandene Jesus redet sie mit ihrem Namen an – und Maria erkennt ihn. „Rühr mich nicht an. Und halte mich nicht fest!“ Klare Worte richtet der Auferstandene da an Maria. „Aber lass meine anderen Jünger wissen, was du gesehen und erlebt hast. Sage ihnen, ich bin auf dem Weg zu meinem Vater!“

Maria macht sich auf ihren Weg. In Johannes 20 heißt es. „Maria sagte: Ich habe den Herrn gesehen und das hat er zu mir gesagt.“ Maria, die erste Zeugin einer Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Maria, der Turm, allemal ein Leuchtturm unter den Zeuginnen und Zeugen des Glaubens an den Auferstandenen. Stellt euch vor, die Frauen hätten in der Kirche das Schweigen bewahrt!

Ich stelle mir vor, ich hätte irgendwie Gelegenheit, auch ein paar Worte mit Maria zu wechseln. Und hätte ein kleines Interview mit Maria Magdalena führen können.

Maria, hätte ich sie zuerst gefragt, Petrus und Johannes waren doch vor dir am Grab?“ „Ja, das stimmt“, entgegnet Maria, „die beiden waren schon da, als ich zum Grab gekommen bin. Und sie haben es wie ich leer vorgefunden. Aber der Auferstandene – er ist mir zuerst erschienen. Petrus ist damit nicht fertig geworden. Mir, der Frau, und nicht ihm, dem Mann! Ich war die erste, der Jesus erschienen ist. Stell dir vor, ich hätte geschwiegen! Stellt euch vor, wir Frauen hätten in der Kirche das Schweigen bewahrt!“

Eine zweite Frage richte ich an Maria! „Obwohl du nicht geschwiegen hast, waren die Frauen in der Kirche viel zu lange an den Rand gedrängt. Wie konnte das sein?“ „Ja, die Männer haben das ganz geschickt angestellt! Sie haben versucht, die Erinnerung an mich zu tilgen. Mich zu verschweigen. Mich zu verdrängen. Keine Rede mehr von mir. Petrus, der Fels – nur auf ihm sollte die Kirche gegründet sein!“

Aber warum hat Gott da nicht eingegriffen?“, hake ich nach. „Aber das hat Gott doch! Beinahe unmerklich, aber erfolgreich.“ entgegnet Maria. „Es gab unzählige Frauen im Lauf der Jahrhunderte, die die Kirche getragen haben. Ohne ihren Einsatz gäbe es sie womöglich gar nicht mehr. Denke doch nur einmal daran, welche Frauen wir schon aus dem Neuen Testament kennen. Johanna und Susanne. Junia und Lydia.

Erinnere dich, welchen Beitrag Frauen bei der Reformation geleistet haben. Aber das wurde vielfach nicht weitererzählt. Und vor allem:   Aus bestimmten Ämtern hat man sie einfach rausgehalten. Priesterinnen und Pfarrerinnen sollte es nicht geben. Weil Jesus keine Frauen berufen habe. Als habe er nicht gerade mir als Frau zuallererst den Auftrag gegeben, die Botschaft von seiner Auferstehung weiterzuerzählen.“

Ich traue mich, eine letzte Frage zu stellen. „Hier, in B. und W., gibt es seit 12 Jahren eine Frau im Pfarramt. NEK – weiß du davon?“ „Und ob ich das weiß!“, gibt Maria Magdalena zurück. So wie bei ihr habe ich mir das vorgestellt. Sie ist auch ein Turm, wie ich. Ein Leuchtturm der Kommunikation des Evangeliums. Der Weitergabe der Guten Nachricht. Im P. und in der Landeskirche. Stell dir vor, NEK hätte in der Kirche einfach geschwiegen. In B. und in W., in T. und in D. Und dann vor allem hier in B. und W. Was würde da in der Kirche fehlen? Stellt dir vor, diese Frau hätte in der Kirche das Schweigen bewahrt!

„Du hast recht!“, sage ich zum Schluss. „Ich war damals auch froh, dass sie sich dafür entschieden hat, mit ihrem Mann und den Kindern hierher zu kommen. Was hat sie nicht alles auf die Beine gestellt!“ „Ja genau“, ergänzt Maria. „Die Kirche braucht Männer und Frauen! Sie braucht alle! Auch in den Verkündigungs- und Leitungsämtern. Da habt ihr noch einiges an Arbeit. Aber ich habe gelernt, in Jahrtausenden zu denken. Am Ende höhlt der stete Tropfen jeden Stein. Wir müssen nur dranbleiben und wir dürfen nicht mehr nachlassen. Jetzt ist Zeitzum Handeln! Maria 2.0! Aber auch Petrus 2.0! Geduld haben wir genug gehabt! Stellt euch vor, wir würden uns als Frauen und Männer in der Kirche zum Schweigen bringen lassen. Unvorstellbar! Amen.

Traugott Schächtele
Twitter: @tschaechtele
Zeitgenosse, Pfarrer, Prälat i.R., Ehemann, Vater von 5 erwachsenen Kindern, Opa, liest und schreibt gern.