Predigt über Matthäus 11,2-10(11) am Sonntag, 17. Dezember 2023 (3. Advent) in der Christuskirche in Freiburg
Liebe Gemeinde!
Die Sonne Chi im Sternbild des Fuhrmanns ist einer der am weitesten entfernten Sterne, die wir mit bloßem Auge noch sehen können. Chi ist 2000 Lichtjahre von uns entfernt. Das bedeutet: Das Licht, das wir sehen, wenn wir heute Nacht den Blick in den Sternenhimmel richten, hat diese Sonne vor 2000 Jahren ins Weltall losgeschickt. Der Blick in den Himmel führt uns also zurück zu einem Zeitpunkt vor 2000 Jahren. Nach Weihnachten – dahin, wo alles angefangen hat. Weihnachten entdecken beim Blick in den Himmel – das ist Advent – nur noch etwas anders.
Ähnlich verhält es sich mit dem Predigttext für diesen 3. Sonntag im Advent. Er führt uns nicht nur 2000 Jahre zurück. Er führt uns auch mitten hinein in eine Phase der Urgeschichte unseres Glaubens. Lässt uns gewissermaßen von der kosmischen Ursuppe des Christentums kosten. In die Zeit vor der ersten Weihnacht - damals, als alles angefangen hat. Advent also, nur noch etwas anders als heute.
Wir bekommen eine Ahnung vermittelt, welche religiösen Bewegungen sich etwa 30 Jahre nach den weihnachtlichen Ereignissen in der damaligen Provinz Syria Palaestina, konkret in den Landstrichen Galiläa und Judäa tummeln. Und was sich da alles abspielt, noch lange ehe sich die religiöse Landkarte neu ordnet.
Strophen 1+2
Die Sehnsucht blüht. Und das ferne Strahlen
taucht längst die Tage in neues Licht,
lässt bunte Bilder der Zukunft malen.
Das Schweigen endet, weil Gott längst spricht.
Der Wüsten Wege lässt Gott ergrünen,
stärkt schwache Hände, wärmt dunklen Sinn.
Sein Wort schenkt Flügel, lässt uns erkühnen,
den Schritt zu wagen zum Neubeginn.
(Text: Traugott Schächtele - Melodie: EG 676: Der Lärm verebbt)
Ich stelle mir vor, ich würde in einem Film anschaulich machen wollen, worum es heute - mit dem heutigen Predigttext – eigentlich geht. Als Blockbuster käme der Titel „Kampf der Giganten“ in Frage. Würde ich die Form einer Doku wählen, dann trüge sie womöglich den Titel „Himmlische Konkurrenten – wie es losging mit dem Glauben“. Am Ende entscheide ich mich für die Gattung Filmepos. Dem Film gebe ich den Titel „Rivalen - um Gottes willen“!
Auf dem Filmplakat die beiden Hauptakteure. Sie stehen im Mittelpunkt der Handlung. In jeder Hinsicht könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Dabei tragen sie beide fromme Namen. Das ist zum einen der Priesterabkömmling mit dem Namen Johannes, zu deutsch: Gott ist gnädig. Zum anderen ein Handwerkersohn namens Jeschua. Uns besser geläufig als Jesus, auf deutsch: Gott hilft. Ihre Blicke kreuzen sich auf dem Plakat. Aber sie schauen sich nicht wirklich an.
Wie jeder gute Film braucht auch dieser ein Begleitheft. In das Begleitheft zum Film „Rivalen – um Gottes Willen“ - würde ich die Anfangskapitel des Lukas-Evangeliums aufnehmen. Interessant, wie dort über Johannes und Jesus dort fast parallel berichtet wird. Beide Herkunftsgeschichten sind kunstvoll ineinander verwoben.
In beiden Fällen kündigt ein Engel den Eltern die Geburt des Kindes an. Beide Male gegen alle Erwartung. Elisabeth scheint zu alt. Maria zu jung. Fast gleichzeitig erscheint ihnen der Engel. Nur ein halbes Jahr liegt dazwischen. Bei Zacharias geschieht die Begegnung im Tempel und bei Maria an ihrem Wohnort. Beide reagieren mit einem bis heute bekannten Loblied. Zacharias singt das Benedictus: „Gepriesen sei der Gott Israels, denn er hat sein Volk besucht und erlöst.“ Maria stimmt in das andere Gotteslob ein, das Magnificat: „Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Retters.“
Beide setzen ihr Leben dafür ein, Gott unter den Menschen im Gespräch zu halten. Beide gehen sie dabei einen ungewöhnlichen Weg. Sammeln Anhängerinnen und Anhänger. Ziehen mit ihnen durchs Land. Werben für Gott. Kündigen den Anbruch seiner Herrschaft an. Johannes als der große, rechtschaffene und zugleich geheimnisumwobene Ethiker. Der Mann im Kamelhaarmantel, der von Heuschrecken und von wildem Honig lebt. Und dem die Massen bis in die Wüste nachlaufen. Johannes ruft den Menschen zu: „Ändert euer Leben. Wendet euch dem Guten zu. Teilt eurer Vermögen. Betrügt eure Mitmenschen nicht durch ungerechte Abgaben. Führt keine ungerechten militärischen Einsätze durch!“ Allein der letzte Satz des Johannes heute gesprochen – und ich wage nicht, mir die Aufregung vorzustellen, wenn Johannes ihn uns heute von irgendeiner Kanzel herab ins Stammbuch schreiben würde. Was übrigens noch dazukommt: Die Bereitschaft zur Umkehr sollte auch öffentlich wahrgenommen werden. Die Jünger des Johannes haben die Menschen deswegen mit dem Zeichen der Taufe auf ihre Umkehr verpflichtet.
Auch die Botschaft Jesu lautet: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Nur: Jesus tauft nicht. Aber er wird getauft. Ausgerechnet durch Johannes. Jesu Weg zu den Menschen ist vor allem durch Zeichenhandlungen geprägt. Er heilt. Er vergibt den Menschen ihre Sünden. Und zum Tun des Guten ruft auch er auf.
Das Gesetz, die Thora bleibt in Geltung. Beim einen wie beim anderen. Bei Johannes womöglich noch stärker als bei Jesus. Die Jünger des Johannes halten die Fastengebote. Die Jünger Jesu nicht. So ähnlich sie sind – sie entstammen unterschiedlichen Auslegungs- und Glaubenstraditionen. Manche mutmaßen, Johannes stehe den Essenern nahe, einer asketisch lebenden Gruppe, die ihren Lebensmittelpunkt in Qumran, also in der Wüste hat. Wir wissen es nicht.
Im ersten Teil des Films würde ich beiden gleich viel an Zeit zugestehen. Wie Lukas das schreibenderweise in seinen Anfangskapiteln ja auch macht.
Aber zum zweiten Teil hin kippt die Handlung dann. Die Balance zwischen den beiden Exponenten einer spezifischen Frömmigkeitsform geht verloren. Johannes wird ins Gefängnis geworfen. Jesus bleibt einstweilen auf freiem Fuß. Er ist im Vorteil. Macht fürs erste das Rennen. Jesus ruft nicht so dezidiert zur Umkehr zu einem Leben nach neuen ethischen Grundsätzen auf wie Johannes. Er ruft auf zur Umkehr zu Gott. Johannes wird auf dem Laufenden gehalten. Auch hinter den Gefängnismauern. Und er ist gewaltig irritiert.
Jetzt können wir einen dezidierten Blick ins Drehbuch werfen. Und hören den ersten Teil des Predigttextes – in der Lesart des Matthäus-Evangeliums:
Da aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Jesus antwortet nicht anders als bei seiner ersten Predigt in der Synagoge in Kapernaum. Er zitiert seinen Lieblingspropheten. Den sogenannten „Zweiten Jesaja“, dessen Sprüche ab Jesaja 40 gesammelt sind. Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt. Ob das die Antwort ist, auf die Johannes wartet? Wohl eher nicht. Jesus nimmt so messianische Autorität für sich in Anspruch. Mit ihm, so gibt Jesus Johannes zu verstehen, bricht etwas Neues an. Deshalb setzt er auch mit einer kleinen Spitze nach. „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“
Johannes und Jesus – sie stehen zunächst für zwei innerjüdische Reform-Bewegungen! Durchaus in heftiger Rivalität! Zwei beeindruckende Persönlichkeiten, die deren Gesicht sind. Aber am Ende sind sie aus der Balance geraten. Am Ende stehen sie in einem einseitigen Verhältnis der Abhängigkeit. Deshalb schwenkt die Kamera jetzt vom Dialog Jesus und Johannes hinüber in die Masse. Zum Volk. Der Predigttext, das Drehbuch entwickelt sich weiter. Der Film nähert sich seinem Höhepunkt! Hören Sie, wie sich das Drehbuch weiterentwickelt.
Als die Jünger des Johannes fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk über Johannes zu reden: Was wolltet ihr sehen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das vom Wind bewegt wird? Oder was wolltet ihr sehen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Menschen in weichen Kleidern? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was wolltet ihr sehen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Propheten? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll. «Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.
Jetzt äußert sich Jesus über Johannes. Und tut das in der Weise, dass er die Menge, die diesen verehrt, ganz bewusst in Frage stellt. Es reicht nicht, ein Johannes-Jünger oder eine Johannes-Jüngerin zu sein. Keine religiöse Exotik. Keine Wallfahrt zu diesem ganz besonderen Verkünder der Nähe Gottes.
Wenn schon Johannes, dann richtig! Ein Prophet ist er allemal, ein Bote der anbrechenden Gottesherrschaft. Und zugleich einer, der die Leute nicht schont.
Das Lob könnte nicht größer sein. Unter den Menschen gibt es keinen, der Johannes auch nur das Wasser reichen könnte. Aber in Gottes neuer Welt, da zählt anderes, um als groß zu gelten. Da ist es auch aus mit der Sonderstellung des Johannes. Jeder, der sich auf die Spuren Jesu begibt, ist Gott näher als er. Was für eine Umwertung bisheriger Werte! Was für eine Revolution in der Gottesbeziehung!
Strophen 3+4:
Wie Wasserfluten strömt neues Denken.
Advent heißt hoffen, dass nichts mehr bleibt
vom bösen Alten. Und mutig lenken
die Schritte wir, wohin Gott uns treibt.
Der Weihnacht Licht schenkt in schweren Zeiten
uns gute Richtung im Hoffnungsspiel.
Bei jenem Kind, das nach allen Seiten
das Leben weit macht, sind wir am Ziel.
Der Evangelist – ich könnte auch sagen in seinem Gefolge die Theologie, das wissen Sie - hat das Verhältnis der beiden Rivalen Jesus und Johannes längst in einer bestimmten, anderen Weise geklärt. Seit Jahrhunderten ist der dritte Advent der Sonntag des Johannes. Und jedes Mal neu wird Johannes gezeichnet als der, der im Advent verfangen bleibt. Weihnachten gehört dem anderen der beiden Rivalen. Johannes ist der Vorläufer. Der Ankündiger. Der Herold. Jesus ist der, um den es am Ende geht. Johannes bleibt in der Welt des Menschlichen verhaftet. Jesus macht den Weg frei in die Welt Gottes. So haben wir’s gelernt. So haben wir den beiden Rivalen ihren Ort zugewiesen.
Noch einmal ein Schnitt im Film. In der Ferne sehen wir, wie Herodes den Johannes drangibt. Als Spielpfand einer Wette. Weil ihm der Tanz der Herodias so gut gefallen hat, lässt er ihm den Kopf abschlagen. Männer-Irrsinn. Damals schon. Wie heute viel zu oft immer noch. Doch gleich im Anschluss erscheint im Film die Kreuzigungsszene. Johannes und Jesus. Ihr Tod rückt sie wieder ganz nah aneinander. Stellt noch einmal die Rivalität ins Zentrum.
Fast scheint sie aufgehoben. Wäre das nicht die letzte Einstellung. Die bleibt am Ende nur einem vorbehalten. Und der ist nicht einmal zu sehen. Am Ende läuft der Abspann. Aber als Bild darunter das leere Grab. Die große Rivalität – sie ist entschieden. Die Ereignisse finden zu neuer Ordnung. Und sie finden diese in einer Weise, die uns Menschen dient.
Vielleicht ist das der tiefere Sinn des Advents. In den Zufälligkeiten meines Daseins Struktur und Ordnung wahrzunehmen. Zu erspüren, worauf es ankommt. Was am Ende bleibt. Und was zurückbleiben muss.
Johannes – nein, er ist dennoch nicht der Verlierer. Er findet seinen Platz. Und weil er ihn findet, ist er bis heute nicht vergessen. Johannes der Täufer – er ist ein Fixstern, eine Sonne in der Ursuppe unseres Glaubens, die sich da zusammenbraut vor 2000 Jahren. Wie der Stern Chi, den wir mit bloßem Auge erkennen können.
Sage keiner, mit seiner Verkündigung habe Johannes den Kürzeren gezogen. Wenn nur alle Menschen auf der Welt sich einließen auf das, was Johannes ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, auf sein „Kehrt um!“ – wir wären noch nicht im Himmel. Aber auf der Erde sähe es wahrhaftig anders aus. Und besser. So einen wie Johannes – wir hätten ihn bitter nötig gerade in unseren kriegsverdüsterten Tagen! Und ich bin froh, wenn uns ab und an dann auch wieder jemand zur Ordnung, zur Neuordnung des Lebens und der Welt ruft.
Strophen 5+6
Zum großen Wechsel sind wir geladen.
Die Wüste lebt und wer stumm war, singt.
Wenn bettelnd einst wir den Stall betraten,
ganz königlich uns der Abschied klingt;
lässt Menschen jubeln und fröhlich singen:
Die düst‘ren Tage sind längst gezählt!
Dass unsre Lieder nach Zukunft klingen,
ist längst entschieden: Gott hat gewählt!
Es bleibt nicht bei der kosmischen Ursuppe dieser beiden Bewegungen. Über die Jahrhunderte formt sich eine neue Ordnung. Aus einer innerjüdischen Reformbewegung entwickelt sich eine neue Religion – freilich der jüdischen auch weiterhin ganz eng und unauflösbar verbunden. Auch daran gilt es zu erinnern in unseren Tagen! Aber auch diese neue Gottesbewegung in der Nachfolge des Jesus von Nazareth weitet sich – wie ein Delta, das sich öffnet hin zum Meer der Religionen. Östliches und westliches Christentum entstehen und können ihre Einheit auf Dauer nicht bewahren. Aus der Ursuppe des Glaubens entstehen Konfessionsfamilien. Kirchen und Gemeinden. Immer ist uns einer oder eine voraus - wie Johannes. Und immer ruft der große Rivale aus Nazareth in seine Nachfolge. Und sperrt die Tür zum Himmel weit offen.
Ganz klein hat alles angefangen. Jede Weihnacht führt uns das vor Augen. Und in der Nachfolge des Johannes lassen wir uns die Augen öffnen. Der Vorläufer wird für uns zum Türöffner ins Paradies. Und zum Augenöffner der Weihnacht. Und der Film „Rivalen um Gottes Willen“ – er findet so am Ende zu seinem Happyend! Könnte so für uns zum Weihnachtsfilm des Jahres 2023 werden – warum nicht! Amen.
Strophen 7+8
Des Unrechts Tage sind am Verglühen
wo Gott erstrahlt, ist der Mensch im Lot,
wie neu erschaffen wagt er zu blühen.
In kargen Wüsten wächst Lebensbrot.
Der Streit der Großen aus Anfangstagen
verliert im Neuen längst sein Gewicht.
Mir leuchtet, wenn wir nach dir, Gott, fragen,
im Kind der Weihnacht dein Angesicht.