Predigt über Hesekiel 22,23-31 im Gottesdienst am 22. November 2023 (Buß- und Bettag)
in der Peterskirche in Blansingen
Liebe Gemeinde!
Was für eine Kirche! Das habe ich gedacht, als ich mich bei der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst mit Ihrer wunderschönen Kirche hier in Blansingen beschäftigt habe. Was für eine Kirche mit einer über 800 Jahre alten Geschichte. Mit einem bemerkenswerten, reichhaltigen Bildprogramm, das ich mir unbedingt auch einmal bei Tag anschauen will. Und mit Menschen, die bis heute hier Gottesdienst feiern. Auch am Buß-und Bettag 2023.
Was für eine Kirche! Das habe ich vorgestern gedacht. Zwei Tage vor Buß- und Bettag. Da tritt die Ratsvorsitzende Annette Kurschus, eine höchst mutige und glaubwürdige Frau, von ihren Ämtern zurück. Ein überaus respektabler Schritt, den ich durchaus bedauere. Und für unsere evangelische Kirche ein herber Schlag. Schließlich ist es gerade eine Woche her, als eine große Umfrage, eine sogenannte Mitgliedschaftsuntersuchung, veröffentlich wurde. Sie hat den Menschen Fragen gestellt wie etwa: Wie religiös sind Sie? Überlegen Sie, aus der Kirche auszutreten. Und wie müssten sich die Kirchen in Zukunft reformieren, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen?
Die Ergebnisse sind nicht sehr ermutigend. Immer mehr Menschen leben ihren Glauben außerhalb der Kirche. Und immer mehr Menschen haben keinen Glauben mehr. Und sie vermissen ihn nicht einmal.
Was für eine Kirche! - denke ich. Und ich denke an die Kirche, die mich seit meiner Kindheit prägt. An Menschen, die anderen ein Mut machendes Wort zusprechen. An Unzählige, die ihre Freizeit als Ehrenamtliche in der Kirche zubringen. An festliche Gottesdienste zu Konfirmation und Hochzeit. An Worte des Trostes am Grab, wenn ein lieber Mensch hat sterben müssen. Was für eine Kirche! Und was für ein Ort, an dem mich mein Glaube an die neue Welt Gottes immer wieder aus aller Resignation herausreißt. Was würde mir fehlen, wenn ich diese Kirche nicht hätte! Was würde so vielen Menschen fehlen!
Es ist nie zu spät, um umzukehren. Schon gar nicht am Buß- und Bettag. Der Buß- und Bettag ist kein Tag, der einfach nur zur persönlichen Umkehr auffordert. Er hat eine bewegte Geschichte. Und er war immer ein politischer Feiertag. Denn fast immer wurde dieser Tag von den Herrschenden eingesetzt und angeordnet. Und vor etwas mehr als 100 Jahren auf den Termin 10 Tage vor dem 1. Advent gelegt. Im Jahre 1994 hat ihn die Politik wieder abgeschafft. Aber – wie ein Wunder – es gibt ihn immer noch – wenn auch nicht mehr als gesetzlichen Feiertag. Und wir feiern auch heute wieder Gottesdienst. Was für eine Kirche, die ihn nicht drangegeben hat!
Der Predigttext für den diesjährigen Buß- und Bettag hat es wahrhaftig in sich. So, als ob, die, die ihn ausgewählt haben, schon geahnt hätten, dass es derzeit nicht wirklich gut bestellt ist um die Kirche. Als Ganzes ist der Text aus Hesekiel 22 kaum zu ertragen. Darum werde ich ihn Stück für Stück lesen. Und sie einladen, sich mit Hoffnungsstrophen Mut zuzusingen. Schließlich haben wir allen Grund, zuversichtlich zu sein. Es ist unser Glaube, der uns Grund dazu gibt. Gott gibt die Welt nicht aus der Hand.
Der Text schont uns nicht. Und er hat schon diejenigen nicht geschont, an die er sich vor mehr als zweieinhalb Tausend Jahren ursprünglich gerichtet hat. Aber hört selber:
23Und des Herrn Wort geschah zu mir: 24Du Menschenkind, sprich zu ihnen: Du bist ein Land, das nicht gereinigt wurde, das nicht beregnet wurde zur Zeit des Zorns, 25dessen Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen, wenn sie rauben; sie fressen Menschen, reißen Gut und Geld an sich und machen viele zu Witwen im Lande.
Ganz schön starker Tobak! Eine Art Politikerschelte aus der Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus. Hesekiel gehörte zu denen, die 597 nach Babylon verschleppt wurden. Als er diese Worte an seine Landsleute richtet, ist er wohl noch in seiner Heimat. Auch wenn er sie womöglich erst im Exil aufschreibt. Aber auf alle Fälle ahnt die kommende Katastrophe schon längst.
Hesekiel mahnt nicht einmal mehr zur Umkehr. Er hat die Hoffnung auf eine Besserung der Verhältnisse schon längst aufgegeben. Die Umkehr liegt auch schon hinter allen Beteiligten. Es ist eine Umkehr in die Vergangenheit. Es ist eine Umkehr in eine Welt, in der das Recht des Stärkeren die Verhältnisse bestimmt. Die politisch Verantwortlichen fressen sich wie gierige Löwen durch das Hab und Gut ihrer Mitmenschen. Sie machen die Frauen zu Witwen, in dem sie deren Männer in unsinnigen Kriegen regelrecht verheizen.
Sprachlos machen mich diese Worte. Gerade angesichts der unsinnigen Gemetzel und Kriege dieser Tage. Und ich frage mich: Wer ruft endlich zu einer Umkehr in die Zukunft? Wer mahnt und ruft diese rasende Welt zu einem Neuanfang, der dem Bösen Grenzen setzt. Der einer neuen Welt Bahn bricht.
Womöglich befinden wir uns mittendrin in diesem Aufeinanderprallen verschiedener Modelle einer besseren Welt. Umkehren in die Zukunft – das hieße, mit Gottvertrauen der Menschlichkeit Raum geben. Das Gute einfordern und umsetzen. Der Barmherzigkeit den Vorrang geben.
Allen, die diese Welt verächtlich machen – und das sind nicht wenige – müssen wir mutig entgegentreten. Barmherzigkeit, Geschwisterlichkeit und Demokratie dürfen wir nicht leichtfertig verspielen. Höchste Zeit, dass wir mit Gottes Hilfe mutig in die Zukunft umkehren. Der Buß- und Bettag ist dafür ein guter Tag!
Fröhlich lasst uns von Gottes neuer Welt singen mit der ersten Strophe des Liedes auf dem Liedzettel.
Die Welt ist deiner Liebe Ort,
o Gott! Wer teilt, erfüllt,
was du uns längst in deinem Wort
als dir gemäß enthüllt.
Wir rufen voller Sehnsucht hier:
Verwandle Herz und Sinn,
damit wir mutig folgen dir,
uns allen zum Gewinn!
Der Predigttext geht weiter. Hört, was Hesekiel seine Landsleute weiter wissen lässt.
26Die Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen entheiligt.
Nach der Politikerschelte sind jetzt die Priester an der Reihe. Oder genauer gesagt, diejenigen, die zwischen heilig und unheilig zu unterscheiden wissen sollten.
Wir rühmen uns als Evangelische, dass wir alle zu Priesterinnen und Priester geweiht sind. Seit unserer Taufe. Von Martin Luther haben wir das gelernt. Daher richtet sich die Frage an uns alle: Was ist mir heilig? Wofür setze ich mich ein – auch dann, wenn’s mich so einiges kostet? Nehme ich wahr, wo Heiliges geschändet wird? Wo wir Menschen ihrer Würde berauben? Wo die einen leben auf Kosten der anderen. Wo es keine Grenzen mehr gibt, die Leben schützen und für wertvoll achten – auch wenn es uns viel abverlangt und kostet.
Nein, es hilft nicht weiter, wenn wir in die Vergangenheit umkehren. Wenn wir alles drangeben, wovon wir wissen, dass Gott Gefallen daran findet.
Heilig, so meine, ich, ist - vor allem anderen - das Leben und die Liebe. Heilig ist Gott. Höchste Zeit, dass wir mit Gottes Hilfe mutig in die Zukunft umkehren. Der Buß- und Bettag ist dafür ein guter Tag!
Hoffnungsvoll lasst uns von Gottes neuer Welt singen mit der zweiten Strophe des Liedes auf dem Liedzettel.
Die Welt ist aus den Fugen, Gott!
Mehr Menschlichkeit tut Not.
Wer von dir spricht, der erntet Spott,
vergessen dein Gebot.
Wir rufen voller Hoffnung doch:
Bleib nah und wende bald,
was auf uns liegt wie böses Joch.
Gib unserer Liebe Halt.
Hesekiel legt nach. Nach den Oberen und den Machthabern, nach den Priestern, kommt nun die Gruppe an die Reihe, der er selber angehört: die Propheten! Hört, wie es um diese Propheten bestellt ist!
27Die Oberen in seiner Mitte sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen. 28Und seine Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen; sie sagen: »So spricht Gott der Herr«, wo doch der Herr gar nicht geredet hat. 29Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauflos und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht.
Vernichtend ist das Urteil über die Propheten. Und nicht nur über sie. Sondern über alle, die etwas zu sagen haben. Die Oberen und das Volk des Landes, wie es im Text heißt. Gemeint sind wohl die in der damaligen Gesellschaft, die meinen zu wissen und die sagen, worauf es gerade ankommt.
Sie kommen nicht besser weg als die anderen. Das Urteil Gottes aus dem Mund des Propheten Hesekiel ist vernichtend. Sie geben vor, im Namen Gottes zu sprechen. Und sie bleiben doch verhaftet in ihren eigenen Vorstellungen. Und ihren eigenen Interessen.
Was machen wir, wenn die, die Verantwortung tragen in einer Gesellschaft, nicht mehr nach denen fragen, denen ihr Handeln zugute kommen soll. Gut ist es, wenn wir nicht umkehren in die Vergangenheit. Wenn wir nicht populistischen Konzepten vertrauen. Die Demokratie verächtlich machen. Nicht die Schwachen der Lächerlichkeit anheimstellen. Gut ist es, wenn wir nicht damit zufrieden sind, nur unsere eigenen Schäfchen ins Trockene bringen wollen.
Wo es denen gut geht, die aus der Fremde zu uns gekommen sind – wo die Armen und Elenden wieder zu ihrem Recht kommen, da ist zu spüren: Gott wohnt in unserer Mitte.
Höchste Zeit also, dass wir mit Gottes Hilfe mutig in die Zukunft umkehren. Der Buß- und Bettag ist dafür ein guter Tag!
Gewiss sind wir, dass Gottes Gegenwart alles in ein neues Licht taucht! Davon lasst uns singen mit der dritten Strophe des Liedes auf dem Liedzettel.
Die Welt – ein Ort der Menschlichkeit! -
so hast du sie gemacht!
Und selbst in Gottverlassenheit
gibst du auf uns noch acht.
Wir rufen voll Gewissheit dich
zu uns, bleib mittendrin
in unserm Leben, zeige dich.
Schenk unserm Dasein Sinn!
Nichts muss so bleiben wie es war. Auch nicht die Welt und die Gesellschaft wie Hesekiel sie beschreibt. Noch viel schlimmer könnte alles werden. Oder besser und aufgehoben im Handeln derer, die für andere eintreten und in die Bresche springen. Hört das Ende des Predigttextes aus dem Munde des Hesekiel!
30Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich’s nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen.31 Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus, und mit dem Feuer meines Grimmes machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Tun auf ihren Kopf kommen, spricht Gott der Herr.
Nein – Mut machend sind diese Worte nicht. Aber einen Weg in die Zukunft, den lassen diese Worte dennoch offen. Hesekiel bleibt nichts anderes als Frust und Enttäuschung. „Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich’s nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen.“
Hesekiel hat die bittere Erfahrung am eigenen Leibe gemacht. Aus der Traum vom Leben im eigenen Land und in der Nähe des Tempels. Aus der Traum von einem, Leben in Sicherheit: Aus der Traum vom anbrechenden Reich Gottes. Zusammen mit vielen seiner Landsleute wird er nach Babylon verschleppt.
Aber seine Botschaft bleibt. Einen bräuchte es also, der für die anderen in die Bresche springt. Einen, der mutig vorausgeht auf dem Weg der Umkehr in die Zukunft. Der Glaube an den Gott des Hesekiel ist auch unser Glaube.
Aber einer könnte uns den Weg weisen und Mut machen, in die Bresche zu springen. Einer, der selber in die Bresche gesprungen ist und sein Leben riskiert hat für die Liebe zu Gott. Und zu seinen Schwestern und Brüdern. Einer, der diesen Gottesglauben mit uns teilt. Und Gott selber so nah war, wie niemand sonst. Einer, der seine heiligen Schriften kannte. Der wusste, was es heißt: „Wenn ihr umkehrt und mich sucht von ganzem Herzen, will ich mich von euch finden lassen!“
Der Glaube des Jesus von Nazareth könnte uns Mut machen und uns beflügeln, mutig in die Zukunft umzukehren. Der Buß- und Bettag ist dafür ein guter Tag!
Die Worte des Hesekiel bleiben nicht ungesagt, wenn wir uns auf diesen Weg machen. Sie bleiben bedrohlich und entsetzlich genug. Aber sie sind nicht das Letzte, was es zu sagen gibt. Nicht über seine Landsleute in Bedrängnis. Damals und heute. Nicht über uns.
Aufbrechen möchte ich in die Zukunft – in der Nachfolge dessen, der uns vorausgegangen ist ins Leben. Der für uns in die Bresche gesprungen. Und voller Hoffnung bin ich, dass ich neu sagen und singen lerne, worauf es ankommt im Leben.
Was für ein Glauben! Was für eine Kirche!
Davon lasst uns singen mit den letzten beiden Strophen dieses Liedes. Und von diesem Glauben lasst uns reden und ihn bekennen, wenn wir umkehren in die Zukunft. Der Buß- und Bettag ist dafür ein guter Tag. Wahrhaftig und Gottseidank. Amen.
Die Welt braucht deine Zeichen mehr
denn je, o Gott, halt ein
bei allem, was schon jetzt so sehr
verbirgt dein himmlisch Sein.
Wir rufen: Komm in unsre Welt,
bleib unsres Lebens Grund.
Tu uns, was dir an uns gefällt,
im Wort der Liebe kund.
Die Welt strahlt deinen Zauber aus.
Das Leben uns gelingt,
wenn tief und fest aus uns heraus
dein Schöpfungsatem singt.
Wir singen von der Zukunft dir,
auf die wir ganz fest bau’n.
Und hoffnungsfroh bekennen wir,
dass wir auf dich, Gott, trau’n.